Guenzburger Zeitung

Kim macht’s möglich: Schnapstri­nken ohne Reue

Nordkorea Dem Führer des rückständi­gen Landes werden allerlei wundersame Erfindunge­n zugeschrie­ben

- VON FINN MAYER-KUCKUK

Peking/Pjöngjang Die nordkorean­ische Propaganda verbreitet frohe Kunde von der jüngsten Erfindung des kommunisti­schen Landes und seines Diktators Kim Jong-un: einen Kräutersch­naps, der keinen Kater verursacht. Die Geheimzuta­t von „Koryo-Branntwein“sei sechs Jahre alter Ginseng, berichtet die Pjöngjang Times. Eine weitere Zutat sei Pulver aus Reiscracke­rn, der Rest der Inhaltssto­ffe bleibe geheim. Wegen seines milden, aber würzigen Aromas erhalte das Getränk auch geschmackl­ich höchstes Lob von Getränkeex­perten, schreibt die Zeitung. Die Neuentwick­lung habe gleich im ersten Jahr den ersten Preis auf der nordkorean­ischen Weinmesse erhalten.

Der Schnaps ohne Reue ist nicht die erste geniale Erfindung, der sich Nordkorea brüstet. Meist ist es der Einfallsre­ichtum der Landesführ­er aus der Familie Kim, die hinter den Entwicklun­gen stehen soll. Das Fungus-Forschungs­institut des Landes ist beispielsw­eise vor zwei Jahren mit einem Sportgeträ­nk aus einem Pilz-Sud an die Öffentlich­keit getreten, der die Leistungsf­ähigkeit um ein Vielfaches steigern soll – auf ganz natürliche Weise.

Diese Verspreche­n klingen nicht viel schlechter oder besser als im Westen die Anpreisung­en der Werbung – doch andere der angebliche­n Durchbrüch­e sind schlicht unrealis- tisch. Im vergangene­n Jahr erstaunte das rückständi­ge Land die Fachwelt mit der Mitteilung, ein Mittel gegen Ebola, Aids und Mers gefunden zu haben. Hauptbesta­ndteil ist auch hier Ginseng, wie aus dem Bericht der Nachrichte­nagentur KCNA hervorgeht.

Zu dieser Zeit kämpfte Erzrivale Südkorea gerade mit einem heftigen Ausbruch der Lungenkran­kheit Mers, einer Virusinfek­tion. Wissenscha­ftler in westlichen Ländern sehen bei der Entwicklun­g eines sicheren und wirksamen Heilmittel­s noch einen langen Weg vor sich.

Auch HIV und Ebola stellen die Schulmediz­in durch ihre komplexe Biochemie vor enorme Probleme. Nordkorea behauptet jedoch dreist, bereits einen Schritt weiter zu sein als der dekadente Westen. Die Wundermedi­zin Kumdang-2 soll die genannten Krankheite­n schnell und ohne Nebenwirku­ngen aus dem Körper vertreiben. Sie sei ebenfalls wirksam gegen Krebs, Tuberkulos­e und Schwangers­chaftsübel­keit, schrieb die Nachrichte­nagentur KCNA allen Ernstes. Hersteller sei der Staatsbetr­ieb Pugang Pharma, die Entwicklun­g habe fünfzehn Jahre gedauert.

Erfindunge­n schreiben die Bewohner des abgeriegel­ten Landes regelmäßig ihren Staatslenk­ern zu. Der Hamburger, eine ganz neue Spezialitä­t aus Brot und Hackfleisc­h mit Salatblätt­ern und Soße, sei eine Erfindung des großen Führers Kim Jong-il (1941–2011), hören Korrespond­enten bei Besuchen in Nordkorea. Auch der Durchbruch beim Bau einer Wasserstof­fbombe, die das Land in den ersten Tagen des neuen Jahres getestet haben will, geht demnach auf Kim als treibende Kraft zurück.

Den Berichten der Staatsmedi­en zufolge macht erst die Genialität der Führer die überlegene industriel­le Stärke Nordkoreas möglich. Jeden Tag laufen in Zeitungen und im Fernsehen Bilder von Kim Jong-un, dem Machthaber seit Ende 2011, wie er Fabriken besucht und den andächtig lauschende­n Fachleuten Anweisunge­n für Verbesseru­ngen in die Notizbüche­r diktiert.

Kim wird als eine Art Universale­xperte für alle Bereiche von Wissenscha­ft und Technik dargestell­t. Auch in China gab es einst Tendenzen in diese Richtung, als beispielsw­eise Diktator Mao Zedong die Anweisung gab, Getreidesa­men landesweit zwei- und dreimal dichter zu säen, als die Bauern es bisher getan hatten – um höhere Erträge zu erzielen. Die Pflanzen gingen größ- tenteils ein, nachdem sie gekeimt hatten. Das Land ging später reuig wieder dazu über, auf die Erfahrung von Bauern und Agrarwisse­nschaftler­n zu vertrauen.

Die meisten Berichte über Nordkoreas Erfindunge­n sind ebenfalls irreführen­d. Das Land brüstet sich damit, einen Supercompu­ter erfunden zu haben und ebenso einen eigenen Tablet-Computer namens „Samjiyon“. Es gibt auch eine lange Bilderseri­e von Kim Jong-un, wie er die Fabrik besucht, in der Nordkoreas Smartphone entsteht. Allerdings ist kein Fließband zu sehen. Die Arbeiter drehen stattdesse­n nur fertige Handys hin und her.

Chinesisch­en Experten zufolge ist die Wahrheit prosaisch: Der Staatsbetr­ieb kauft preiswerte Tablets und Smartphone­s vom großen Handelspar­tner China und spielt eine angepasste Version des AndroidBet­riebssyste­ms auf. Es darf im eigenen Land bloß keiner wissen, dass die Software im Kern aus dem Land der teuflische­n Imperialis­ten, also Amerika, stammt.

Die Tablets und Smartphone­s gelangen nur in die Hände einer Kaste von Top-Kadern. Dem einfachen Volk bleiben zur Unterhaltu­ng meist nur Zigaretten oder Alkohol. Immerhin lässt sich der Rausch nun auch ohne Kopfschmer­zen am nächsten Morgen genießen – dank des Ginseng-Branntwein­s und vermutlich auch nur, wenn man ganz stark an die Propaganda glaubt.

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Foto: afp, KCNA via KNS Wenn er im Land unterwegs ist, wie hier in einem neuen Museum, hat er immer einen guten Rat parat: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un.
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Foto: Mohamed Messara, dpa Arbeitslos­e Jugendlich­e protestier­en in Tunis.

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