Neue Revolte in Tunesien
Enttäuschung entlädt sich in Krawallen
Madrid/Tunis Fünf Jahre nach Beginn der Revolution in Tunesien erschüttert erneut eine Welle von Protesten das nordafrikanische Land. Seit Tagen gehen in vielen Städten junge Tunesier auf die Straße und demonstrieren gegen Armut, Arbeitslosigkeit und Korruption. Sie beklagen, dass auch unter der neuen, demokratisch gewählten Regierung im sozialen Alltag keine Fortschritte spürbar sind. Regierungschef Habib Essid brach seine Europareise ab und kehrte zurück.
Vielerorts endeten die Proteste in heftigen Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften, die mit Tränengas, Knüppeln und Warnschüssen antworteten. Auch in der Umgebung der Hauptstadt Tunis kam es zu heftigen Ausschreitungen. Barrikaden brannten, Steine flogen, Polizeistationen gingen in Flammen auf, mehrere öffentliche Gebäude wurden besetzt, Geschäfte wurden geplündert. Auf beiden Seiten soll es dutzende Verletzte gegeben haben. Zwei Polizisten wurden getötet.
Die Krawalle begannen in Kasserine, einer armen Region im Westen des Landes, die auch schon während der Revolution gegen die Diktatur im Jahr 2011 eine Schlüsselrolle gespielt hatte. Die Menschen dort be- klagen, dass ihre Region, die an der algerischen Grenze liegt, von der Regierung im 300 Kilometer entfernten Tunis vernachlässigt wird.
Der Funke, der den neuen Aufstand auslöste, war der Tod des 28-jährigen Arbeitslosen Ridha Yahyaoui in Kasserine. Nachdem eine Behörde den jungen Mann von einer Jobbewerberliste gestrichen hatte, kletterte dieser aus Protest auf einen Strommast vor dem Sitz des Gouverneurs – und wurde durch einen elektrischen Schlag getötet. Möglicherweise war es Selbstmord. Auch vor fünf Jahren war der Freitod eines jungen Gemüsehändlers, der sich in der Nachbarregion Sidi Bouzid von den Behörden schikaniert fühlte, der Auslöser gewesen.
„Die Menschen haben das Gefühl, dass sich fünf Jahre nach der Revolution nichts geändert hat“, sagte eine 25-Jährige dem arabischen TV-Sender Al-Dschasira. Ein junger Mann beklagte „Frustration und totale Verzweiflung“.
„Die Beschäftigungssituation der Jugend in Tunesien kommt einer sozialen Tragödie gleich“, bilanziert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Die Jugendarbeitslosigkeit bei den unter 25-Jährigen liege landesweit bei 38 Prozent, unter Universitätsabsolventen sogar bei 65 Prozent. Der Zusammenbruch des Urlaubsgeschäftes nach den Terroranschlägen gegen Touristen im Jahr 2015 hat die Lage weiter verschärft.