Zwei, die sich verstehen
Delegiertentag Wie die Schausteller Sigmar Gabriel nach Augsburg gelockt haben und was sie dem Vizekanzler mit auf den Weg geben
Augsburg Sigmar Gabriels Zeitplan ist eng getaktet. Gerade noch hat er auf dem Neujahrsempfang der Augsburger SPD gesprochen, jetzt steht der Wirtschaftsminister und Vizekanzler an einer nostalgischen Drehleier, rechts von ihm ein Karussellpferd, dahinter Leuchtreklamen, wie man sie vom Augsburger Plärrer kennt. Ein Bub bringt dem Politiker erst ein kleines Bier – dann aber doch noch einen Maßkrug. „So muss das sein“, sagt Gabriel.
Der Wirtschaftsminister ist der letzte Redner bei der Großkundgebung des Deutschen Schaustellerbunds am Freitagabend in Augsburg. Gabriel muss bald weiter zum Flieger, aber eine knappe halbe Stunde spricht er über die Faszination der Volksfeste, über Heimat und Tradition, aber auch über Mindestlohn und EU-Normen. Die Atmosphäre ist freundschaftlich, man kennt sich. Schausteller-Präsident Albert Ritter ist im Besitz von Gabriels Handynummer, wie der Minister mit gespielter Verzweiflung erzählt. Dem Oberschausteller „meine Nummer zu geben, war der größte Fehler meines Lebens“. Denn Ritter ist hartnäckig, er nutzt jede Gelegenheit, um die Sorgen seiner Branche zum Thema zu machen. Irgendwann, sagt Gabriel, habe er sich gedacht, „besser ich sage zu, sonst ist der Albert noch jeden Tag bei mir im Büro“.
Die Schausteller pflegen von jeher ein enges Verhältnis zur großen Politik: Zwei Stunden vor Sigmar Gabriel standen in Augsburg EUKommissar Günther Oettinger und Landtagspräsidentin Barbara Stamm auf der Bühne. Auch die Bundeskanzler Willy Brandt, Helmut Kohl und Gerhard Schröder sprachen schon bei den Delegiertentagen. Eine bemerkenswerte Liste, wenn man bedenkt, dass die Branche knapp 5000 Betriebe und rund 23000 Mitarbeiter zählt. Es ist allerdings ein Berufszweig, mit dem deutlich mehr Menschen in Berührung kommen: Knapp 150 Millionen Besucher verzeichnen die deutschen Volksfeste im Jahr. Rund sechs Millionen waren es 2015 allein auf dem Münchner Oktoberfest.
„Volksfeste sind die Besuchermagneten Nr. 1 der deutschen Freizeitwirtschaft“, betont Schaustellerpräsident Ritter. Umso mehr ärgert er sich über Regelungen und Auflagen, die den Schaustellern das Ausüben ihres Berufs erschweren würden. Die Branche kämpft nach eigener Aussage am meisten mit hohen Transportkosten, der Dokumentationspflicht beim Mindestlohn oder der neuen EU-Sicherheitsnorm.
Deshalb, sagt Ritter süffisant, könne er es kaum noch hören, wenn Politiker von ihrer Verbundenheit zu den deutschen Volksfesten sprechen und davon, „Achterbahnen quasi schon am Geruch zu erkennen“. In seiner Rede geht er auch die anwesenden Politiker scharf an: Es sei ja schön und gut, ruft er mit immer lauter werdender Stimme, dass sie den Schaustellern immer wieder sagen, „ihr seid Kultur, ihr seid ein Wirtschaftsfaktor“. Für Ritter sind das bisher aber oft noch leere Worte. Er betont: „Ich will Fakten sehen.“
Wirtschaftsminister Gabriel lobt er am Ende als einen Mann der klaren Bekenntnisse. Ritter stellt sich neben den Politiker und lässt sich ein kleines Bier bringen, um mit dem Gast anzustoßen. „Der Minister hat das große Bier, der Schausteller ein kleines“, sagt er lachend. „Aber Sigmar will ja an unseren Rahmenbedingungen arbeiten“, fügt er hinzu. „Dann hat er vielleicht bald das kleine Bier und die Schausteller können sich das große leisten.“