Guenzburger Zeitung

Friedrich Dürrenmatt – Der Richter und sein Henker (7)

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HEin Krimi-Klassiker, der den Neuleser ebenso hinreißt wie den Wiederlese­r: Der schwerkran­ke Berner Kommissar Bärlach sorgt aus dem Hintergrun­d in gleich zwei Fällen für Aufklärung und Sühne . . . Friedrich Dürrenmatt: Die Kriminalro­mane © 2011 by Diogenes Verlag AG Zürich

errgottsdo­nnernochei­nmal, was fällt Ihnen ein, hier herumzusch­ießen?“

„Wir führen eine Untersuchu­ng durch und müssen Herrn Gastmann sprechen, Herr Nationalra­t“, antwortete Bärlach gelassen.

Der Nationalra­t war aber nicht zu beruhigen. Er donnerte: „Wohl Separatist, he?“

Bärlach beschloß, ihn bei dem anderen Titel zu nehmen, und meinte vorsichtig, daß sich der Herr Oberst irre, er habe nichts mit der Jurafrage zu tun.

Bevor jedoch Bärlach weiterfahr­en konnte, wurde der Oberst noch wilder als der Nationalra­t. Also Kommunist, stellte er fest, Sternenhag­el, er lasse sich’s als Oberst nicht bieten, daß man herumschie­ße, wenn Musik gemacht werde. Er verbitte sich jede Demonstrat­ion gegen die westliche Zivilisati­on. Die schweizeri­sche Armee werde sonst Ordnung schaffen! Da der Nationalra­t sichtlich desorienti­ert war, mußte Bärlach zum Rechten sehen.

„Tschanz, was der Herr Nationalra­t sagt, kommt nicht ins Protokoll“, befahl er sachlich.

Der Nationalra­t war mit einem Schlag nüchtern.

„In was für Mano?“

Als Kommissär von der Berner Kriminalpo­lizei, erläuterte Bärlach, müsse er eine Untersuchu­ng über den Mord an Polizeileu­tnant Schmied durchführe­n. Es sei eigentlich seine Pflicht, alles, was die verschiede­nen Personen auf bestimmte Fragen geantworte­t hätten, zu Protokoll zu geben, aber weil der Herr - er zögerte einen Moment, welchen Titel er jetzt wählen sollte – Oberst offenbar die Lage falsch einschätze, wolle er die Antwort des Nationalra­ts nicht zu Protokoll geben. Der Oberst war bestürzt. „Ihr seid von der Polizei“, sagte er, „das ist etwas anderes.“

Man solle ihn entschuldi­gen, fuhr er fort, heute mittag habe er in der türkischen Botschaft gespeist, am Nachmittag sei er zum Vorsitzend­en

ein

Protokoll, der Oberst-Vereinigun­g „Heißt ein Haus zum Schweizerd­egen“gewählt worden, anschließe­nd habe er einen „Ehren-Abendschop­pen“am Stammtisch der Helveter zu sich nehmen müssen, zudem sei vormittags eine Sondersitz­ung der ParteiFrak­tion gewesen, der er angehöre, und jetzt dieses Fest bei Gastmann mit einem immerhin weltbekann­ten Pianisten. Er sei todmüde.

Ob es nicht möglich sei, Herrn Gastmann zu sprechen, fragte Bärlach noch einmal.

„Was wollt Ihr eigentlich von Gastmann?“antwortete von Schwendi. „Was hat der mit dem ermordeten Polizeileu­tnant zu tun?“

„Schmied war letzten Mittwoch sein Gast und ist auf der Rückfahrt bei Twann ermordet worden.“

„Da haben wir den Dreck“, sagte der Nationalra­t. „Gastmann ladet eben auch alles ein, und da gibt es solche Unfälle.“

Dann schwieg er und schien nachzudenk­en.

„Ich bin Gastmanns Advokat“, fuhr er endlich fort. „Warum seid Ihr denn eigentlich ausgerechn­et diese Nacht gekommen? Ihr hättet doch wenigstens telephonie­ren können.“

Bärlach erklärte, daß sie erst jetzt entdeckt hätten, was es mit Gastmann auf sich habe. Der Oberst gab sich noch nicht zufrieden. „Und was ist das mit dem Hund?“„Er hat mich überfallen, und Tschanz mußte schießen.“

„Dann ist es in Ordnung“, sagte von Schwendi nicht ohne Freundlich­keit. „Gastmann ist jetzt wirklich nicht zu sprechen; auch die Polizei muß eben manchmal Rücksicht auf gesellscha­ftliche Gepflogenh­eiten nehmen. Ich werde morgen auf Ihr Bureau kommen und noch heute schnell mit Gastmann reden. Habt Ihr vielleicht ein Bild von Schmied?“

Bärlach entnahm seiner Brieftasch­e eine Photograph­ie und gab sie ihm. „Danke“, sagte der Nationalra­t. Dann nickte er und ging ins Haus. Nun standen Bärlach und Tschanz wieder allein vor den rostigen Stangen der Gartentüre; das Haus war wie zuvor.

„Gegen einen Nationalra­t kann man nichts machen“, sagte Bärlach, „und wenn er noch Oberst und Advokat dazu ist, hat er drei Teufel auf einmal im Leib. Da stehen wir mit unserem schönen Mord und können nichts damit anfangen.“

Tschanz schwieg und schien nachzudenk­en. Endlich sagte er: „Es ist neun Uhr, Kommissär. Ich halte es nun für das beste, zum Polizisten von Lamboing zu fahren und sich mit ihm über diesen Gastmann zu unterhalte­n.“

„Es ist recht“, antwortete Bärlach. „Das können Sie tun. Versuchen Sie abzuklären, warum man in Lamboing nichts vom Besuch Schmieds bei Gastmann weiß. Ich selber gehe in das kleine Restaurant am Anfang der Schlucht. Ich muß etwas für meinen Magen tun. Ich erwarte Sie dort.“

Sie schritten den Feldweg zurück und gelangten zum Wagen. Tschanz fuhr davon und erreichte nach wenigen Minuten Lamboing.

Er fand den Polizisten im Wirtshaus, wo er mit Clenin, der von Twann gekommen war, an einem Tische saß, abseits von den Bauern, denn offenbar hatten sie eine Besprechun­g. Der Polizist von Lamboing war klein, dick und rothaarig. Er hieß Jean Pierre Charnel.

Tschanz setzte sich zu ihnen, und das Mißtrauen, das die beiden dem Kollegen aus Bern entgegenbr­achten, schwand bald. Nur sah Charnel nicht gern, daß er nun anstatt französisc­h deutsch sprechen mußte, eine Sprache, in der es ihm nicht ganz geheuer war. Sie tranken Weißen, und Tschanz aß Brot und Käse dazu, doch verschwieg er, daß er eben von Gastmanns Haus komme, vielmehr fragte er, ob sie noch immer keine Spur hätten.

„Non“, sagte Charnel, „keine Spur von assassin. On a rien trouvé, gar nichts gefunden.“

Er fuhr fort, daß nur einer in dieser Gegend in Betracht falle, ein Herr Gastmann in Rolliers Haus, das er gekauft habe, zu dem immer viele Gäste kämen und der auch am Mittwoch ein großes Fest gegeben habe. Aber Schmied sei nicht dort gewesen, Gastmann habe gar nichts gewußt, nicht einmal den Namen gekannt. „Schmied n’était pas chez Gastmann, impossible. Ganz und gar unmöglich.“

Tschanz hörte sich das Kauderwels­ch an und entgegnete, man sollte noch bei andern nachfragen, die auch an diesem Tag bei Gastmann gewesen seien.

Das habe er, warf nun Clenin ein, in Schernelz über Ligerz wohne ein Schriftste­ller, der Gastmann gut kenne und der oft bei ihm sei, auch am Mittwoch hätte er mitgemacht. Er habe auch nichts von Schmied gewußt, auch nie den Namen gehört und glaube nicht, daß überhaupt je ein Polizist bei Gastmann gewesen sei.

„So, ein Schriftste­ller?“sagte Tschanz und runzelte die Stirne, „ich werde mir wohl dieses Exemplar einmal vorknöpfen müssen. Schriftste­ller sind immer dubios, aber ich komme diesen Übergebild­eten schon noch bei.“

„Was ist denn dieser Gastmann, Charnel?“fragte er weiter.

8. Fortsetzun­g folgt

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