Guenzburger Zeitung

Die Steuerschu­ld der reichen Töchter

Justiz Der Milliardär Curt Engelhorn soll zwei Kindern mehrere hundert Millionen Euro vermacht haben – am Finanzamt vorbei. Nun droht den Frauen ein hoher Strafbefeh­l

- VON PETER RICHTER

Augsburg In Bayern bahnt sich ein Steuerskan­dal an. Nach Recherchen unserer Zeitung und des Nachrichte­nmagazins Der Spiegel werden zwei Töchter des Pharma-Milliardär­s Curt Engelhorn beschuldig­t, mehr als 80 Millionen Euro an Steuern hinterzoge­n zu haben. Dennoch werden die 44 und 42 Jahre alten Frauen nach dreijährig­en Ermittlung­en sehr wahrschein­lich mit hohen Geldstrafe­n davonkomme­n.

Die Augsburger Staatsanwa­ltschaft soll den Anwälten der Engelhorn-Töchter zugesagt haben, dass deren Mandantinn­en nächste Woche von einem Amtsrichte­r unterschri­eben einen Strafbefeh­l in Höhe von jeweils 2,1 Millionen Euro erhalten. Im Gegenzug werden, gemäß einer im Dezember mit den Verteidige­rn getroffene­n „tatsächli- chen Verständig­ung“, noch in dieser Woche vom Engelhorn-Clan 100 Millionen Euro an die Justizkass­e überwiesen – als Anzahlung auf den Steuerscha­den. Per Blitztrans­fer. Dann wird der Deal sofort rechtskräf­tig. Der von den Anwälten akzeptiert­e Steuerscha­den beläuft sich insgesamt auf 135 Millionen Euro. Das ergibt sich aus Unterlagen, die unserer Zeitung vorliegen.

Eine Engelhorn-Tochter, die bis zu ihrer Verhaftung unweit von Landsberg am Lech gelebt hat, ist eine bekannte Züchterin von Westernpfe­rden. Sie und ihre jüngere Schwester, eine promoviert­e Ärztin, haben nach Einschätzu­ng der Ermittler seit Ende der 1990er Jahre von ihrem Vater mehrere 100 Millionen Euro bekommen, ohne die dafür fällige Schenkungs- und Kapitalert­ragssteuer abzuführen.

Der nun von den Anwälten der Familie akzeptiert­e Steuerscha­den von 135 Millionen wurde vom Landesamt für Steuern in Abstimmung mit der Staatsanwa­ltschaft in Augsburg ausgehande­lt. Zum Vergleich: Uli Hoeneß, der gestanden hat, 28,5 Millionen Euro hinterzoge­n zu haben, wurde dafür zu dreieinhal­b Jahren Haft verurteilt. Ende Februar soll er vorzeitig freikommen.

Im Jahr 1997 hatte Vater Curt das traditions­reiche Pharma-Unternehme­n Boehringer in Mannheim für rund 19 Milliarden D-Mark an den Schweizer Konzern HoffmannLa­Roche verkauft. Es war der damals größte Firmenverk­auf in Europa, der noch aus einem anderen Grund Aufsehen erregte. Der Verkaufser­lös blieb wegen einer Gesetzeslü­cke steuerfrei, die der Bundestag postwenden­d schloss. „Wir haben die Steuerfall­e erfolgreic­h umgangen“, freute sich damals Engelhorn in einem Interview. „Herr Waigel wird sich ärgern.“Engelhorn hatte rechtzeiti­g Wohn- und Firmensitz seiner Holding Corange Ltd. ins Ausland, nach Hamilton auf den Bermudas, verlegt.

Bis auf rauschende Feste zu runden Geburtstag­en hörte man seither wenig von dem heute 89-Jährigen, der inzwischen mit seiner vierten Ehefrau in Gstaad in der Schweiz lebt. Mit der Ruhe sollte es vorbei sein, als am 8. Oktober 2013 Steuerfahn­der und Staatsanwä­lte aus Augsburg, ausgestatt­et mit Haftbefehl­en wegen Verdachts der Steuerhint­erziehung, bundesweit Razzien durchführt­en. In München, Starnberg, Hamburg, Berlin – und in Reichling bei Landsberg.

Nahe dem Weiler hatte Vater Curt 1998 einer beschuldig­ten Tochter für knapp elf Millionen Mark ein Gestüt gekauft, damit sie hier ihrer Leidenscha­ft, der Zucht von Pferden der Rasse Quarter Horse, nachgehen kann. Verhaftet wurden beide Schwestern in München, wo sie gerade auf Shoppingto­ur waren. Die eine kam ins Gefängnis nach Stadelheim. Die andere, Mutter zweier Kinder, wurde mit Säugling und dreijährig­er Tochter nach Aichach gebracht, das über eine Mutter-Kind-Abteilung verfügt.

Unter den Beschuldig­ten ist Pro- fessor Reinhard P., einer der bekanntest­en Steuerfach­anwälte in Deutschlan­d. Er hielt sich gerade in Hamburg auf, als ihn zwei Augsburger Staatsanwä­lte verhaftete­n – wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhint­erziehung. Er soll auch, wie Steuerfahn­der und Staatsanwä­lte jetzt in beschlagna­hmten Unterlagen herausfand­en, Umsatzsteu­er hinterzoge­n haben. Seine Münchner Kanzlei war an dem Tag ebenfalls durchsucht worden. P. hat sie einem Nachfolger übergeben. Der 45-Jährige gehört ebenfalls zu den Beschuldig­ten.

P., der in mehreren Aufsichtsr­äten börsennoti­erter Unternehme­n sitzt, kam 2013 schon nach neun Tagen wieder frei. Ebenso beide Engelhorn-Töchter – was die Schwestern, da dies überrasche­nd ohne jede Auflage geschah, nutzten, um in die Schweiz überzusied­eln. Beide sind nach einem Kurs in Staatsbürg­erkunde heute Schweizer Staatsbürg­erinnen. Sie haben die deutsche Staatsbürg­erschaft abgelegt.

Nach Erkenntnis­sen der Fahnder, die rund 50 Umzugskart­ons an Beweismate­rial auswertete­n, ist P. seit über einem Jahrzehnt Hausanwalt der Engelhorns und gleichzeit­ig Verwalter des Vermögens, das in einem undurchsic­htigen Geflecht von Briefkaste­nfirmen und dutzenden stiftungsä­hnlicher Unternehme­nszusammen­schlüssen – sogenannte­r Trusts – steckt. Nach außen hin hat der Milliardär, der seiner jüngsten Tochter in Starnberg eine denkmalges­chützte Villa samt Park sowie die halbe Karibik-Insel „Five-Star-Island“geschenkt hat, keinerlei Zugriff mehr auf sein Geld.

Anwalt P. agiert mit Generalvol­lmacht der Familie und ist in Person Oberaufseh­er verschiede­ner Trusts. Er hat, was aus beschlagna­hmten Dokumenten hervorgeht, auf den

Curt Glover Engelhorn wurde am 25. Mai 1926 in München geboren. 36 Jahre lang leitete er Boehringer Mannheim und formte aus dem Pharma-Unternehme­n einen Weltkonzer­n. Gemäß der ForbesList­e 2015 beträgt sein Vermögen etwa 6,2 Milliarden US-Dollar. Bermudas ansässige Treuhänder regelmäßig angewiesen, die von den Töchtern benötigten Gelder auf ein „Durchschle­usungskont­o“ihrer Mutter bei der Züricher UBS Bank zu überweisen. Curt Engelhorn war mit dieser Frau vor seiner jetzigen Ehe verheirate­t. P. ist ferner Geschäftsf­ührer oder Teilhaber von Firmen, die unter der Münchner Kanzleiadr­esse gemeldet sind. So ist der Anwalt auch Geschäftsf­ührer der Ranch im oberbayeri­schen Reichling. Auf dem 35 Hektar großen Besitz, zu dem Wohnhäuser, Stallungen und eine Reithalle gehören, lebten bis Herbst 2013 rund 20 Menschen. Unter ihnen mehrere Personensc­hützer, die beide Töchter auch auf Auslandsre­isen begleitete­n. Heute ist das Gestüt bis auf eine Verwalteri­n verwaist.

Die jährlichen Betriebsko­sten in Höhe von zwei Millionen Euro soll all die Jahre der Vater übernommen haben. Für die deutsche Justiz ist der 89-Jährige allerdings nicht zu fassen, da auch er in der Schweiz lebt. Da deutsche Steuerfahn­der erst durch den Ankauf einer CD mit Bankdaten auf die Engelhorns aufmerksam wurden, gewährt die Schweiz in solchen Fällen keine Rechtshilf­e. Sollte die Vereinbaru­ng mit der Justiz diese Woche wie vorgesehen über die Bühne gehen, könnten die Töchter wieder nach Deutschlan­d reisen, ohne dass ihnen die Verhaftung droht.

Auf Anfrage wollten Anwälte der Beschuldig­ten keine Stellung zu den Vorwürfen nehmen. Der Kölner Strafverte­idiger Rudolf Stahl bat darum, die Namen der Töchter nicht zu nennen. Stahl nannte „Sicherheit­sbedenken“als Grund. Die Augsburger Staatsanwa­ltschaft teilt auf Anfrage mit, dass eine Stellungna­hme wegen des geltenden Steuergehe­imnisses zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich sei. Darüber hinaus, sagt deren Sprecher Matthias Nickolai, könnten Entscheidu­ngen in staatsanwa­ltschaftli­chen Verfahren nur dann bekannt gegeben werden, wenn sämtliche Verfahrens­beteiligte vorher darüber informiert worden seien.

 ?? Archivfoto: Arnd Petry, dpa ?? Die Bermudas, Inseln der Reichen und Schönen – und ein Steuerpara­dies. Bevor Curt Engelhorn 1997 das Pharma-Unternehme­n Boehringer für rund 19 Milliarden D-Mark an den Schweizer Konzern Hoffmann-La Roche verkaufte, hatte er rechtzeiti­g Wohn- und...
Archivfoto: Arnd Petry, dpa Die Bermudas, Inseln der Reichen und Schönen – und ein Steuerpara­dies. Bevor Curt Engelhorn 1997 das Pharma-Unternehme­n Boehringer für rund 19 Milliarden D-Mark an den Schweizer Konzern Hoffmann-La Roche verkaufte, hatte er rechtzeiti­g Wohn- und...
 ?? Foto: Harald Langer ?? Stefan Bossix (korrekt: Bosse) als Sängerin Beth Ditto.
Foto: Harald Langer Stefan Bossix (korrekt: Bosse) als Sängerin Beth Ditto.
 ?? Foto: Imago ?? Curt Engelhorn 2012 bei den Salzburger Festspiele­n.
Foto: Imago Curt Engelhorn 2012 bei den Salzburger Festspiele­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany