Erzählkunst mit Goldwert
Neuseeland Eleanor Catton erzählt – geschickt verpackt – eine abenteuerliche, fast wahnwitzige Geschichte über die Zeit des Goldrausches. Dafür erhielt die neuseeländische Schriftstellerin den renommierten Booker-Preis
Erster Absatz, in dem all das abgehandelt werden soll, worauf die Autorin dieses Buches angeblich nicht mehr angesprochen werden möchte. Nämlich, dass sie jung ist, erst 30 Jahre alt. Weshalb sie seit dem Gewinn des Booker-Preises vor zwei Jahren gerne als neuseeländisches Wunderkind angepriesen wird. Außerdem, dass sie nicht nur die bisher jüngste Trägerin des Preises ist, sondern ihr Roman „Die Gestirne“der umfangreichste, der je ausgezeichnet wurde: 1036 Seiten in der vor kurzem erschienenen deutschen Übersetzung. Damit Ende erster Absatz und hinein ins Buch, in dem jedes Kapitel so ähnlich beginnt – mit einer Vorrede.
Eleanor Catton ist eine Schriftstellerin, die solche Konstrukte liebt und mit ihnen spielt. Und sich im Übrigen auch mit einem Trick – nicht dem einzigen – aus der Verantwortung für diese abenteuerliche, fast wahnwitzige Geschichte zu Zeiten des neuseeländischen Goldrausches im 19. Jahrhundert stiehlt.
Die Sterne sind schuld! Sie nämlich geben auch downunder den Lauf der Handlung vor. So wie die Gestirne müssen auch die Hauptpersonen in festen Bahnen ziehen. Nicht Zufall also ist es, sondern Schicksal, wenn im ersten Kapitel ein junger Mann klaren Verstandes namens Walter Moody sich im Rauchzimmer des Crown Hotels in Hokitika plötzlich inmitten einer verschwörerischen Runde wiederfindet. Schließlich steht Merkur, zuständiger Planet für Vernunft, Logik und Kommunikation, im Schützen!
Die Geschichte, die Moody im Rauchzimmer von den zwölf Männern erzählt wird, klärt Eleanor Catton auf den 1036 Seiten gemächlich auf – ganz im Stil eines viktorianischen Romans. Als ob sich eine Enkelin von Charles Dickens oder Louis Stevenson im Nachahmen des Großvaters üben würde. Sie gibt die allwissende Erzählerin, die Sternendeuterin, die ihre Macht genüsslich auskostet und mal diese, mal jene Person in den Vordergrund schiebt. So wechselt sie ständig die Perspektive – und lässt sich darüber hinaus mit Distanz, gelegentlich fast schon mit Herablassung, über ihre Figuren aus: „Mit unserem eigenen Mörtel wollen wir die Risse und Spalten dieser irdischen Erinnerung ausbessern und das, was in einsamer Erinnerung nur als Ruine existiert, auferstehen lassen.“
Ziemlich kokett also das alles, auch wunderbar komisch. Vor allem aber: ziemlich klug und gekonnt. Eleanor Catton packt einen Thriller über Gold und Liebe ins altmodische Gewand eines Abenteuerromans – auch wenn die aufwendige Konstruktion gelegentlich zur Überfrachtung führt.
Zum Gerüst der Geschichte: Ein Zusammentreffen mehrerer merkwürdiger Vorfälle haben die zwölf Männer ins Raucherzimmer des Crown Hotels geführt. Erstens: In der Hütte eines Einsiedlers wurde nach dessen Tod ein Goldschatz entdeckt. Zweitens: Die Hure Anne Wetherell ist ohnmächtig im Opiumrausch auf der Straße aufgefunden worden. Drittens: Seit dieser einen Nacht gilt der junge Emery Staines, der auf den Goldfeldern bereits ein Vermögen gemacht hat, als vermisst.
Jeder der zwölf Männer ist in diese Vorfälle verstrickt: Der Apotheker hat der Hure das womöglich vergiftete Opium verkauft, der Geistliche das in der Hütte versteckte Gold gefunden, der Handelsagent für den Verkauf eine satte Provision eingesteckt, der Maori Te Rau Tauwhare dem Mörder des Einsiedlers womöglich den Weg gewiesen und der chinesische Goldsucher hat aus gestohlenem Goldstaub die Goldbarren hergestellt, die in der Hütte gefunden wurden . . .
Wie gesagt, 1036 Seiten. Auf denen Eleanor Catton immer tiefer schürft, die komplexe Geschichte wie ein Schatz aus ausgewaschenen, vom Schmutz befreiten Nuggets präsentiert.
Im Laufe des Romans verlässt der dreizehnte Mann, Walter Moody, den Ort in Goldgräber-Montur, ein Ire schließt sich ihm an, und damit es nicht langweilig wird auf dem Weg zu den Goldfeldern, fordert dieser zum Geschichtenerzählen auf. „Erzählen Sie mir jeden Unsinn“, sagt Paddy Ryan: „Und wenn Sie bis zum Abzweig nach Kumara Ihre Schnurre fortspinnen können, dann sind Sie ein großartiger Erzähler.“Wie weit käme der Mann erst mit Eleanor Catton! Für den Booker-Preis erhielt sie im Übrigen 59000 Euro, umgerechnet knapp zwei Kilo Gold.
Eleanor Catton: Die Gestirne. btb Verlag, 1036 Seiten, 24,99 Euro