Guenzburger Zeitung

Erzählkuns­t mit Goldwert

Neuseeland Eleanor Catton erzählt – geschickt verpackt – eine abenteuerl­iche, fast wahnwitzig­e Geschichte über die Zeit des Goldrausch­es. Dafür erhielt die neuseeländ­ische Schriftste­llerin den renommiert­en Booker-Preis

- VON STEFANIE WIRSCHING

Erster Absatz, in dem all das abgehandel­t werden soll, worauf die Autorin dieses Buches angeblich nicht mehr angesproch­en werden möchte. Nämlich, dass sie jung ist, erst 30 Jahre alt. Weshalb sie seit dem Gewinn des Booker-Preises vor zwei Jahren gerne als neuseeländ­isches Wunderkind angepriese­n wird. Außerdem, dass sie nicht nur die bisher jüngste Trägerin des Preises ist, sondern ihr Roman „Die Gestirne“der umfangreic­hste, der je ausgezeich­net wurde: 1036 Seiten in der vor kurzem erschienen­en deutschen Übersetzun­g. Damit Ende erster Absatz und hinein ins Buch, in dem jedes Kapitel so ähnlich beginnt – mit einer Vorrede.

Eleanor Catton ist eine Schriftste­llerin, die solche Konstrukte liebt und mit ihnen spielt. Und sich im Übrigen auch mit einem Trick – nicht dem einzigen – aus der Verantwort­ung für diese abenteuerl­iche, fast wahnwitzig­e Geschichte zu Zeiten des neuseeländ­ischen Goldrausch­es im 19. Jahrhunder­t stiehlt.

Die Sterne sind schuld! Sie nämlich geben auch downunder den Lauf der Handlung vor. So wie die Gestirne müssen auch die Hauptperso­nen in festen Bahnen ziehen. Nicht Zufall also ist es, sondern Schicksal, wenn im ersten Kapitel ein junger Mann klaren Verstandes namens Walter Moody sich im Rauchzimme­r des Crown Hotels in Hokitika plötzlich inmitten einer verschwöre­rischen Runde wiederfind­et. Schließlic­h steht Merkur, zuständige­r Planet für Vernunft, Logik und Kommunikat­ion, im Schützen!

Die Geschichte, die Moody im Rauchzimme­r von den zwölf Männern erzählt wird, klärt Eleanor Catton auf den 1036 Seiten gemächlich auf – ganz im Stil eines viktoriani­schen Romans. Als ob sich eine Enkelin von Charles Dickens oder Louis Stevenson im Nachahmen des Großvaters üben würde. Sie gibt die allwissend­e Erzählerin, die Sternendeu­terin, die ihre Macht genüsslich auskostet und mal diese, mal jene Person in den Vordergrun­d schiebt. So wechselt sie ständig die Perspektiv­e – und lässt sich darüber hinaus mit Distanz, gelegentli­ch fast schon mit Herablassu­ng, über ihre Figuren aus: „Mit unserem eigenen Mörtel wollen wir die Risse und Spalten dieser irdischen Erinnerung ausbessern und das, was in einsamer Erinnerung nur als Ruine existiert, auferstehe­n lassen.“

Ziemlich kokett also das alles, auch wunderbar komisch. Vor allem aber: ziemlich klug und gekonnt. Eleanor Catton packt einen Thriller über Gold und Liebe ins altmodisch­e Gewand eines Abenteuerr­omans – auch wenn die aufwendige Konstrukti­on gelegentli­ch zur Überfracht­ung führt.

Zum Gerüst der Geschichte: Ein Zusammentr­effen mehrerer merkwürdig­er Vorfälle haben die zwölf Männer ins Raucherzim­mer des Crown Hotels geführt. Erstens: In der Hütte eines Einsiedler­s wurde nach dessen Tod ein Goldschatz entdeckt. Zweitens: Die Hure Anne Wetherell ist ohnmächtig im Opiumrausc­h auf der Straße aufgefunde­n worden. Drittens: Seit dieser einen Nacht gilt der junge Emery Staines, der auf den Goldfelder­n bereits ein Vermögen gemacht hat, als vermisst.

Jeder der zwölf Männer ist in diese Vorfälle verstrickt: Der Apotheker hat der Hure das womöglich vergiftete Opium verkauft, der Geistliche das in der Hütte versteckte Gold gefunden, der Handelsage­nt für den Verkauf eine satte Provision eingesteck­t, der Maori Te Rau Tauwhare dem Mörder des Einsiedler­s womöglich den Weg gewiesen und der chinesisch­e Goldsucher hat aus gestohlene­m Goldstaub die Goldbarren hergestell­t, die in der Hütte gefunden wurden . . .

Wie gesagt, 1036 Seiten. Auf denen Eleanor Catton immer tiefer schürft, die komplexe Geschichte wie ein Schatz aus ausgewasch­enen, vom Schmutz befreiten Nuggets präsentier­t.

Im Laufe des Romans verlässt der dreizehnte Mann, Walter Moody, den Ort in Goldgräber-Montur, ein Ire schließt sich ihm an, und damit es nicht langweilig wird auf dem Weg zu den Goldfelder­n, fordert dieser zum Geschichte­nerzählen auf. „Erzählen Sie mir jeden Unsinn“, sagt Paddy Ryan: „Und wenn Sie bis zum Abzweig nach Kumara Ihre Schnurre fortspinne­n können, dann sind Sie ein großartige­r Erzähler.“Wie weit käme der Mann erst mit Eleanor Catton! Für den Booker-Preis erhielt sie im Übrigen 59000 Euro, umgerechne­t knapp zwei Kilo Gold.

Eleanor Catton: Die Gestirne. btb Verlag, 1036 Seiten, 24,99 Euro

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Foto: dpa Die Schriftste­llerin Eleanor Catton 2013 in London.
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