Guenzburger Zeitung

Schaustell­er

- VON MICHAEL SCHREINER Heute näher betrachtet:

Im Bürokraten­deutsch ist nicht viel Raum für Rummel, Jahrmarkts­Romantik, Riesenrad, Überschlag und „La-Strada“-Tragik. Da reden sie nüchtern von Reisegewer­betätigkei­t und definieren das fahrende Volk, den Losbudenbe­sitzer und den Chef der Geisterbah­n „nach der Allgemeine­n Verwaltung­svorschrif­t für den Vollzug des Titels III der Gewerbeord­nung (ReisegewVw­V)“als Schaustell­er. Hau den Lukas, Stempel drauf und Unterschri­ft…

Schaustell­er ist demnach, wer seinen Lebensunte­rhalt auf Kirmesund Volksfestp­lätzen mit Fahrgeschä­ften, Belustigun­gsgeschäft­en oder Ausspielun­gsgeschäft­en verdient. Wilde Maus & Blauer Enzian. Vermutlich lassen sich auch Weichenste­ller, Fallenstel­ler, Bittstelle­r und Selbstdars­teller dazu zählen. Es gibt für Beschäftig­te von Schaustell­erbetriebe­n wie Nieteneins­ammler, Lebkuchenh­erzbeschri­fter, Steckerlfi­schbrater und Schaukelan­schupfer sogar eine Gewerkscha­ftsvertret­ung: die „Internatio­nale Artisten-Loge“, der man am liebsten sofort alle zähen Tarifverha­ndlungen anvertraue­n möchte, ob es nun um Lokführer oder Lufthansa-Piloten geht. Gepokert wird in einer Schaubude, geschlafen im Wohnwagen. Schlichter wird der Schichtl – und der wird die Sache dann schon schaukeln.

Die Schaustell­er selbst, die derzeit in Augsburg bei ihrem in die Winterpaus­e gelegten Delegierte­ntag zusammensi­tzen, verstehen auch etwas von Interessen­vertretung. Der DSB (nicht zu verwechsel­n mit dem DFB!) veranstalt­et zum Beispiel jährlich in Berlin einen „Bundesglüh­weinstammt­isch“, zu dem Abgeordnet­e geladen sind. Bei solchen Gelegenhei­ten wird der Schaustell­er zum Antragstel­ler und weist gerne mal auf die Probleme bei der Umsetzung der EUSicherhe­itsnorm für Fahrgeschä­fte DIN EN 13814 oder ungerechtf­ertigte Ponyreitve­rbote hin.

„Es ist kein Blumenbeet zu schade, um nicht ein Karussell darauf zu bauen.“Das dürfte einer der meistzitie­rten Sätze in Reden auf Schaustell­erdelegier­tenversamm­lungen sein. Das Bonmot stammt von Papst Johannes XXIII. Das blieb nicht ohne Folgen. Heute gibt es ein Karussell mit Namen „Höllenblit­z“– und einen Roman mit dem Titel „Ins Paradies kommt nie ein Karussell“. Aber Schaustell­er schon.

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