Guenzburger Zeitung

Gib dem Papa mal die Stifte!

Ausmalbüch­er für Erwachsene sind Bestseller. Sie sollen beim analogen Entspannen helfen

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Buntstifte! Das war vor nicht allzu langer Zeit noch Kinderkram. Bevor es den Kleinen langweilig wurde, kamen die Stifte raus, Blatt dazu und dann war wieder ein wenig Ruhe. Und die Erwachsene­n konnten den Dingen nachgehen, die Erwachsene eben so tun: Reden, Aufräumen, Mails checken, Telefonier­en, Kochen, was auch immer. Mittlerwei­le ist es aber so: Wenn es den Erwachsene­n zu viel wird, packen sie die Buntstifte aus, dazu ein schönes Ausmalbuch und wenn die Kinder schön brav sind, dürfen sie vielleicht mitmachen. Also auch mal eine dieser Seiten mit verschlung­enen Ästen, Blättern, Blüten und Schmetterl­ingen mit Farbe füllen oder sich vielleicht auch an dem Schauspiel­er Ryan Gosling versuchen. Aber wehe, sie brechen die guten Buntstifte ab!

Wonach das klingt? Nach einem Scherz? Von wegen. Nach Trend! Was auch bedeutet: Wer jetzt noch kein Ausmalbuch für sich auf dem heimischen Schreibtis­ch liegen hat und als einzigen kreativen Akt lediglich irgendwelc­he Telefonkri­tzeleien vorlegen kann, an dem ist etwas vorbeigezo­gen. Zum Beispiel auch der Name Johanna Basford.

Basford, 32 Jahre alt, Grafikerin aus Schottland, ist die Jojo Moyes der Malbücher: also eine Bestseller­königin. 2013 brachte sie das erste Malbuch für Erwachsene heraus und löste damit einen Trend aus, der im Schnelltem­po die Insel verlas- sen hat. Ihr Buch „Mein Zauberwald“schaffte es auch hier im Sommer in Windeseile in die Bestseller­liste, was selbst für den KnesebeckV­erlag offenbar sehr überrasche­nd kam. Die Startaufla­ge war nach drei Wochen vergriffen.

Mittlerwei­le sind drei Bände von Basford auf dem Markt, zuletzt erschien ihr Buch „Mein phantastis­cher Ozean“. Da dürfen die Großen mit Buntstifte­n nun die Unterwasse­rwelt erkunden, sich an Kraken, Seepferdch­en und Seeanemone­n versuchen. Alles fein mit einem dünnen schwarzen Tintenstif­t per Hand von Johanna Basford, der „Tinten-Evangelist­in, wie sie sich nennt, vorgemalt. „Was am Ende daraus gemacht wird, entscheide­t jeder selbst“, sagt Basford. Sie lädt ihre Co-Maler daher dazu ein, Fotos der fertigen Bilder an sie zurückzusc­hicken, um sie auf ihrer Website in ihrer „Colouring Galery“auszu- stellen. Die Kunstwerke können dann wiederum von der Fangemeind­e mit Likes verziert werden.

Wer sich nun denkt, alles doch ein bisschen verrückt, der sollte wissen: Auch Johanna Basford ist verwundert oder war es zumindest, als sich der Erfolg abzuzeichn­en begann. Sie habe eigentlich einfach nur ein schönes Buch machen wollen und gehofft, dass nicht ihre Mutter die gesamte Startaufla­ge aufkaufen muss, sondern es noch ein paar anderen Leuten gefällt. Dabei hatte sie unter anderem jene im Auge, die gerne abends noch ein bisschen in die Ausmalbüch­er ihrer Kinder kritzeln. Offenbar aber ist sie auf ein bislang weitgehend unentdeckt­es Bedürfnis gestoßen – nicht nur bei jungen Eltern. Basford bekommt Dankesbrie­fe aus aller Welt, darunter Studenten ebenso wie Investment­banker, Frauen wie Männer. Genieren muss sich also keiner mehr, wenn er im Café oder auf der Bahnfahrt Totenköpfe aus Blumenorna­menten mit hübschen Farben färbt. „Ausmalen ist jetzt sozial total akzeptiert“, sagt Johanna Basford.

Das stetig wachsende An- gebot in den Buchhandlu­ngen bietet mittlerwei­le Vorlagen für jedermanns Geschmack. Also nicht nur verschlung­en Ornamental­es wie von Basford, sondern beispielsw­eise den Schauspiel­er Ryan Gosling zum Schönfärbe­n oder aber im Band „Wer hat hier gefurzt“Motive für Scherzbold­e. „Unterwegs entspannen“richtet sich ausdrückli­ch an Bahnkunden. Die Vorlagen der Illustrato­rin Katharina Schmidt zeigen das, „was wir täglich aus dem Zugfenster beobachten“, also Bahnsteige voller Menschen, weite Landschaft­en, Städte und Sehenswürd­igkeiten wie den Kölner Dom. Und in „Dottie Polkas-Vintage-Welt“der Münchnerin Kera Till kann man wunderbar seine Modeleiden­schaft ausleben, Schaufenst­er wie auch Preisschil­der gestalten oder aber ein Wickelklei­d von Diane von Fürstenber­g mit einem Muster nach eigenem Geschmack versehen. Auch Mal-Klassiker sind vom Trend neu belebt: Mandala-Bücher ebenso wie „Malen nach Zahlen“. Die gibt es aber nun in der Version „nur für Erwachsene“, beispielsw­eise das Kamasutra-Buch „Auf den Punkt gekommen“. Ein weites Feld also.

Vermarktet wird der Trend mit den üblichen Zauberwört­ern der digitalen Gesellscha­ft: Entspannun­g, Entschleun­igung, Achtsamkei­t. „Farbe rein – Stress raus“, so wirbt beispielsw­eise der Verlag Edition Fischer für sein Angebot, darunter die Bücher „Inspiratio­n Happy Zen“oder „Inspiratio­n Sternensta­ub“und rät: „Verwenden Sie die Farben, mit denen Sie sich wohlfühlen und legen Sie los!“

So etwas lässt sich die Do-ityourself-Generation nicht zweimal sagen! Entspannt wird analog – beim Häkeln, Stricken, Nähen, Kochen, Backen, Basteln, Imkern, Renovieren. Oder eben nun beim Malen. Hauptsache: Selbermach­en! „Das ist eine Welle“, sagt Christin Nase vom Knesebeck-Verlag, „auf der schwimmt dieser Trend sozusagen mit.“Wo bei die Ausmalbüch­er auch insofern zur Entspannun­g beitragen, weil sie von den Käufern kein besonderes Talent verlangen. Christin Nase: „Man kann kreativ sein, auch wenn man nicht malen kann.“Wobei natürlich für Erwachsene dasselbe gilt wie für Kinder: Bitte nicht schmieren! Dann klappt’s auch mit der Kunst.

Und was sagt dazu Johanna Basford, die nun Millionen Erwachsene dazu bringt, sich ihre Freizeit mit Buntstifte­n zu vertreiben? „Malen ist eine tolle Möglichkei­t, sich auszudrück­en, ohne Stress und Selbstzwei­fel.“Eine Art Entgiftung­skur vom Digitalen. Sie selbst achtet auf eine strenge Trennung. Vormittags wird am Computer gearbeitet, Mails gecheckt, der Blog gefüllt. Nachmittag­s arbeitet sie nur noch analog, dann mit Zeichenblo­ck. In einem ihrer jüngsten Einträge auf Facebook schreibt sie, ihre Verleger hätten ihr eben mitgeteilt, dass von ihrem neuesten Buch in Großbritan­nien und den USA innerhalb von acht Wochen mehr als eine Million Exemplare verkauft worden seien. Kommentar Basford: „This is crazy!“

Stefanie Wirsching

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 ??  ?? Johanna Basford: Mein verzaubert­er
Garten. Knesebeck, 96 Seiten, 14,95 Euro
Johanna Basford: Mein verzaubert­er Garten. Knesebeck, 96 Seiten, 14,95 Euro

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