„Ich schreibe, was ich will“
Kult-Regisseur Quentin Tarantino erzählt, was er von der amerikanischen Polizei hält – und warum Westernfilme Amerika infrage stellen
Mister Tarantino, Sie haben Ihren jüngsten Film, den Western „The Hateful 8“, in Ultra Panavision auf 70-mm-Film gedreht. Macht dieses Format den Film besser? Quentin Tarantino: Ich kann mich noch an die Reaktion erinnern, als bekannt wurde, dass ich den Film in diesem Format drehen will. Es wurde spekuliert: Okay, das klingt gut, aber warum macht er das mit einer Technik, die sich doch vor allem für Naturaufnahmen, Bergszenen und so weiter eignet. Ich dachte, wenn ich es in einem Film verwende, der in einem Blockhaus spielt, dann versetze ich den Zuschauer gleichsam in diesen Raum. Er befindet sich mitten zwischen den Figuren, kommt ihnen nahe. Das steigert die Intimität. Der andere Grund, wieso ich mich für dieses Format entschieden habe, ist die Tatsache, dass im Bild immer zwei Handlungen stattfinden: das Geschehen im Vordergrund und das im Hintergrund. Als Zuschauer ist man gezwungen, aufzupassen, wo sich welche Figur befindet, als würde man Figuren auf einem Schachbrett beobachten. Hatten Sie Probleme im Umgang mit dieser Technik? Tarantino: Den einzigen Nachteil, den ich anfangs fühlte, war die Tatsache, dass wir keine Zoom-Linsen benutzen konnten. Ich hatte mich zu sehr an sie gewöhnt. Andererseits hatte es auch einen gewissen Reiz, nicht auf das zurückgreifen zu können, was man kennt, sondern neue Wege zu gehen.
Als Filmemacher sind Sie vor allem Geschichtenerzähler: Sei es, dass Sie Erzählkonventionen aus der Vergangenheit aufgreifen oder Ihre Filme in einer vergangenen Epoche angesiedelt sind. Können Sie sich vorstellen, Ihren persönlichen Stil auch auf andere Genres als Western und Gangsterdramen auszuweiten? Tarantino: Das ist eine sehr interessante Idee. So wurde mir dieser Vorschlag noch nicht unterbreitet. Normalerweise spricht man über das Science-Fiction-Genre im Allgemeinen. Dabei denke ich gewöhnlich an Menschen in Raumschiffen. Hierin liegt tatsächlich nicht mein dramatisches Interesse. Was Sie aber implizieren, finde ich interessant. Daran habe ich zugegebenermaßen noch nicht gedacht, dass man sich nämlich mit einer zukünftigen Gesellschaft befassen kann, indem man diese aus einer noch entfernteren Zukunft reflektiert.
Reflektieren Ihre „VergangenheitsFilme“die Gegenwart? Tarantino: Ich glaube, es gibt kein anderes Genre, das sich im Subtext eingehender mit Amerika befasst hat als das Western-Genre in den unterschiedlichen Jahrzehnten. In den 1950er Jahren transportieren die Filme Eisenhowers Vorstellung von der Einzigartigkeit Amerikas. In den 1970er Jahren hatten sie eine sehr zynische Sicht auf das Land.
Wie sehr hat Sie die Tatsache genervt, dass das Drehbuch zu „The Hateful 8“geleakt wurde? Tarantino: Dass das Drehbuch geleakt wurde, hatte auch etwas Gutes. Als wir den Film drehten, konnte man alle Themen, die wir behandeln, überall im Fernsehen verfolgen. Heute kann man sehen, dass ich darüber bereits schrieb, bevor der ganze Scheiß richtig losging.
Im Zusammenhang mit Ihrem Protest gegen Polizeigewalt hatten die USPolizei-Gewerkschaften mit Boykotten von „The Hateful 8“und anderen Maßnahmen gedroht. Bereitet Ihnen das Sorgen? Tarantino: Diese Frage wurde mir schon oft gestellt. Die Antwort ist: Nein. Ich glaube nicht, dass die Polizeigewalt eine dunkle Organisation ist, die sich gegen individuelle Bürger verschworen hat. Trotzdem: Beamte des Öffentlichen Dienstes sollten Bürgern nicht drohen, selbst wenn die Drohung rhetorischer Natur ist. Die einzige Reaktion, die ich mir vorstellen kann, ist, dass die Po- lizei die eine oder andere Kinoaufführung abriegelt. Oder vielleicht die Premiere oder ein 70-mm-Kino boykottiert.
Oder sie kauft alle Tickets auf, damit die Kinos leer bleiben… Tarantino: Das würde mir nicht wehtun. Seit der Drohung habe ich nichts weiter gehört, außer dass Patrick Lynch (Präsident der New Yorker Polizeigewerkschaft; Red.) den Konflikt auf kleiner Flamme weiter köcheln lassen will…
Nun, die Gemüter haben sich ganz schön erhitzt… Tarantino: Ja, leider. Dabei habe ich vor der guten Arbeit der Polizei durchaus Respekt. Ich lebe in Hollywood Hills. Wenn ich einen Polizisten vorbeifahren sehe, dann gehe ich davon aus, dass er die besten Absichten hat. Wenn Sie nach Pasadena fahren, wird man Ihnen das Gleiche sagen. Wenn Sie bei Menschen in Glendale anklopfen, bekommen Sie das ebenfalls zu hören. Wenn Sie aber in Inglewood an die Wohnungen am Century Boulevard klopfen, dann werden Sie etwas anderes hören. All das hat seine Ursprünge vor 30 Jahren, als wir den Drogen den Krieg erklärten und damit begannen, die Polizei zu militarisieren.
Ist die Polizei in den USA rassistisch? Tarantino: Sie kann nicht die Interessen der schwarzen und farbigen Ge- meinde vertreten, wenn sie – wie in den vergangenen 30 Jahren der Fall – jeden Sohn und jede Tochter, jeden Vater und jede Mutter wegen lächerlicher Drogendelikte hinter Schloss und Riegel bringt. Das schürt Misstrauen. Zugleich sollte man in der Lage sein, über den Machtmissbrauch zu sprechen. Es sollte möglich sein, über Polizeigewalt zu reden. Es muss auch erlaubt sein, gegen Tötungen und Gesetzesüberschreitungen zu sprechen, die es meiner Meinung nach gegeben hat und die von der Polizeigewerkschaft nicht so ins Visier genommen
wurden wie ich.
Glauben Sie, dass Filmemacher heute ein bisschen weniger politisch korrekt sein sollten? Tarantino: Es gab mal eine Zeit, als wir ganz und gar nicht politisch korrekt waren. Dieser Zeit trauern viele hinterher. Ich persönlich denke über diese Sache nicht nach. Es gehört nicht zu meiner Aufgabe als Regisseur und Drehbuchautor, mir darüber Gedanken zu machen. Das hat auch keinen Einfluss auf meine Arbeit. Ich schreibe, was ich will, und setze es dann um. Vor allem als Autor muss ich die Kritik der Gesellschaft ignorieren. Sie darf keine Auswirkungen haben auf die Meinung meiner Figuren oder darauf, was sie sagen und was ihnen zustößt.
Interview: Julia Manfredi,
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