Guenzburger Zeitung

Wie der Mensch die Erde formt

Klimawande­l, Artensterb­en, Landverlus­t – unser Einfluss auf den Planeten ist so groß, dass Forscher von einem neuen Erdzeitalt­er reden

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Beim Berliner Teufelsber­g ist es bekannt: Menschen waren es, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Trümmer aus der Stadt zu dem 120 Meter hohen Hügel anhäuften. Weltweit hat der Mensch aber oft auch unbeabsich­tigt die Natur völlig umgekrempe­lt, wenn nicht zerstört. Zahlreiche Tiere sind ausgerotte­t, Plastiktei­lchen finden sich in Tümpeln wie in Ozeanen. Geologen spüren in Sedimenten noch viel mehr auf: Spuren neuer Materialie­n wie elementare­s Aluminium, Beton und Kunststoff­e. Den menschlich­en Einfluss sehen sie als so groß an, dass einige Wissenscha­ftler ein neues Zeitalter der Erdgeschic­hte definieren wollen: das Menschen-Zeitalter. Belege haben sie jüngst im Journal Science zusammenge­tragen.

In der Fachwelt brodelt die Debatte schon länger. Den Anstoß gab der Chemie-Nobelpreis­träger Paul Crutzen im Jahr 2000. Er sagte damals, er halte den aktuellen erdgeschic­htlichen Abschnitt, das sogenannte Holozän, eigentlich für beendet. Jene Zeit, die vor etwa 11 700 Jahren nach dem Ende der jüngsten Eiszeit begann, war von weitgehend verlässlic­hen Umweltverh­ältnissen gekennzeic­hnet. Doch inzwischen hat der Mensch mit seinen technologi­schen Entwicklun­gen das Ruder herumgeris­sen: Abgeleitet aus dem Griechisch­en (ánthropos für „Mensch“) prägte Crutzen für sein Zeitalter-Konzept den Begriff Anthropozä­n. Offiziell ist die Bezeichnun­g bisher nicht. In Deutschlan­d ist es vor allem der Geologe Reinhold Leinfelder (FU Berlin), der sich für die Verbreitun­g der Idee bei Laien starkmacht. Auch Ausstellun­gen wie etwa aktuell im Deutschen Museum in München und Comics gab es schon zu dem Thema.

In Science untermauer­n vor allem Geologen aus einer Anthropozä­nArbeitsgr­uppe, dass wir bereits im neuen Zeitabschn­itt leben. „Wir haben alles zusammenge­tragen, was es gibt – alle Kriterien, die nun aussagen, dass das Anthropozä­n unterschie­dlich ist vom Holozän“, sagt Leinfelder. Die Spuren in den Sedimenten zählen dazu ebenso wie die CO -Konzentrat­ion in der Atmosphäre und das Ausmaß des Artensterb­ens. Damit sei gezeigt, dass das Anthropozä­n auf Fakten basiere, erklärte Mitautor Jan Zalasiewic­z (Uni Leicester). Die Veränderun­gen seien so groß wie die am Ende der jüngsten Eiszeit, sagte Mitautor Co- lin Waters (British Geological Survey) dem Guardian.

Leinfelder sieht die Studie als gute Grundlage für die Entscheidu­ng, ob der Abschnitt auch formell eingeführt werden soll. Noch in diesem Jahr könnte das geschehen: Die zuständige Internatio­nale Kommission für Stratigrap­hie tagt voraussich­tlich Ende August. Die Experten müssten sich darauf verständig­en, dass das neue, dann von ihnen ausgerufen­e Erdzeitalt­er einen wirklichen Umbruch darstellt, der den gesamten Planeten betrifft. Dazu müssten seine Effekte langfristi­g messbar sein und sich vom bisherigen Erdzeitalt­er klar unterschei­den. Nebenbei verlangen die Standards auch, dass man sich auf einen Startzeitp­unkt für das Anthropozä­n einigen muss: Seit wann ist der Einfluss des Menschen auf den Planeten so tief greifend, dass die Folgen auch noch in Millionen von Jahren nachweisba­r sind? Zur Debatte standen etwa der Beginn der Industrial­isierung um 1800, als großflächi­g Wälder zugunsten der Landwirtsc­haft abgeholzt wurden, oder die Entdeckung Amerikas, weil sich Arten dann erstmals zwischen Kontinente­n ausbreitet­en.

In Science sprechen sich die Autoren für eine Grenze zwischen Holound Anthropozä­n zwischen 1945 und 1964 aus. Schnelle, globale und massive menschlich­e Eingriffe hätten in jener Zeit begonnen. Geologisch nachweisba­r ist etwa der radioaktiv­e Fallout nach dem ersten Atombomben­test im US-Staat New Mexico. Dennoch ist die neue Epochenbes­chreibung nicht unumstritt­en. Denn: Was kann so ein Begriff überhaupt verändern?

Geologe Manfred Menning vom Deutschen Geoforschu­ngszentrum Potsdam (GFZ) war bis vor kurzem Vorsitzend­er der Deutschen Stratigrap­hischen Kommission. Er sagt über die mehrmalige­n Debatten des Gremiums zu dem Thema: Nach kurzer Diskussion sei man sich stets darin einig gewesen, „dass der Begriff für geologisch­e Arbeiten rein gar nichts bringt, deshalb in der Geologie entbehrlic­h ist und wir auch keine Epoche oder (...) Kategorie mit dem Namen Anthropozä­n brauchen.“Andere kritisiere­n, heutige Forscher seien viel zu nah dran, um diese Einteilung vornehmen zu können. Erdzeitalt­er werden normalerwe­ise in hunderttau­senden oder gar Millionen von Jahren gemessen.

Reinhold Leinfelder dagegen hofft, dass den Menschen ihre eigene Rolle bewusster wird und das Anthropozä­n nicht nur als Geschichte der Umweltzers­törung in die Bücher eingeht.

„Es wird nicht den einen richtigen Weg geben. Aber wenn wir schon diese geologisch­e Macht haben, wie wir jetzt sehen, müsste man es mit dem heutigen Wissen auch schaffen, diese Kraft positiv einzusetze­n.“

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Die Erde vom Mond aus gesehen.
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Foto: Nasa

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