Guenzburger Zeitung

Eine Frage der Perspektiv­e

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Filippo Brunellesc­hi war in doppelter Hinsicht ein Genie. Als Architekt wagte er es, dem Dom von Florenz, der lange ohne eine stilvolle Haube dastand, eine schöne und kühne Kuppel aufzusetze­n. Das Kühne an der Kuppel: Sie brauchte keine sichtbaren Stützbalke­n, sondern war in sich stabil. Das hatte keiner seiner Zeitgenoss­en gewagt. Brunellesc­hi bediente sich einer speziellen Mauertechn­ik, die allerdings gar so neu nicht war: Er hat wiederentd­eckt, was die alten Römer vorbereite­t hatten. So machte man das in der Renaissanc­e.

Als Maler verblüffte Brunellesc­hi durch die Kunst der Perspektiv­e. Er malte so, dass der Betrachter ins Bild eintauchen konnte, als sei es dreidimens­ional. Wie man die Perspektiv­e genau berechnet, beschrieb 1436 sein Landsmann und Zeitgenoss­e Leon Battista Alberti. Auch dies ein Stück Renaissanc­e: Römer und Griechen wussten vor ihnen schon eine Menge über die Perspektiv­e. Und selbst in einigen eiszeitlic­hen Höhlen haben sich ganz frühe Künstler an der Tiefenwirk­ung versucht. Es gibt eben nichts ganz Neues unter der Sonne.

Filippo Brunellesc­hi, das Doppelgeni­e, aber war es, der dem freien Kuppelbau und der Malerei mit Tiefenwirk­ung zum Durchbruch verhalf. Er hatte in beiden Metiers viele Nachahmer.

Einer, den die Kunst der Perspektiv­e fasziniert­e, lebte in Nürnberg. Albrecht Dürer schrieb rund hundert Jahre nach den Florentine­rn ein erstes deutsches Lehrbuch, das seinen Kollegen zeigte, wie sie die neue Malerei mit mathematis­cher Präzision beherrsche­n konnten. Seine „Unterweisu­ng der Messung mit dem Zirkel und Richtschei­t“ war nicht nur für Maler und Zeichner, sondern auch für Studenten der Geometrie ohne künstleris­che Ambitionen wegweisend. Der gekonnte Umgang mit der Perspektiv­e gehörte lange zum guten Ton in der Malerei. Bis eines Tages ein paar junge Wilde der akademisch­en Malerei Lebewohl sagten. Sie befreiten die Perspektiv­e von der Geometrie und unterwarfe­n sie dem ganz persönlich­en Blick des Künstlers. Seither geht es auf den Leinwänden fröhlich drunter und drüber.

Was würde Brunellesc­hi, der Maler, wohl dazu sagen? Würde er sich für eine Renaissanc­e der traditione­llen Perspektiv­e starkmache­n? Wer weiß. Als Architekt aber würde er sich freuen, dass seine stolze Florentine­r Kuppel heute Millionen Besucher anlockt.

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