Guenzburger Zeitung

Schneller zum Facharzt? Angeblich genügt ein Anruf

Leitartike­l Mit einem neuen Service will Gesundheit­sminister Gröhe die langen Wartezeite­n verkürzen. Tatsächlic­h doktert er nur an den Symptomen herum

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger-allgemeine.de

Das Amt des Gesundheit­sministers ist eines der undankbars­ten im Kabinett. Meistens operiert er jenseits der Wahrnehmun­gsschwelle, und wenn er es doch einmal in die Zeitung oder ins Fernsehen schafft, hat er selten Gutes zu verkünden. Mal steigen die Beiträge zur Pflegekass­e, mal die für die Krankenver­sicherung oder die Zuzahlunge­n in der Apotheke. Kein Wunder also, dass Hermann Gröhe den neuen Dienst, der gesetzlich Versichert­en schneller zu einem Termin beim Facharzt verhelfen soll, feiert wie der Verkehrsmi­nister den Bau einer neuen Autobahn.

Vom heutigen Montag an soll kein Patient mehr länger als vier Wochen warten, bis sich ein Internist, ein Kardiologe oder ein Orthopäde um ihn kümmert – immer vorausgese­tzt, der Hausarzt hat die Behandlung beim Spezialist­en auf dem Überweisun­gsschein als dringlich deklariert. Damit regelt der Gesundheit­sminister nun per Gesetz, was eigentlich eine Selbstvers­tändlichke­it sein sollte: Eine Behandlung, die sich nicht an den Interessen des Arztes orientiert, sondern alleine an den Bedürfniss­en des Patienten. Eine Behandlung mithin, bei der es keinen Unterschie­d macht, ob dieser Patient gesetzlich versichert ist oder privat. In vielen Praxen, vor allem in denen der Fachärzte, ist genau das jedoch der entscheide­nde Unterschie­d: Im Zweifel bekommt ein Privatpati­ent hier deutlich schneller einen Termin als einer mit der Versichert­enkarte der AOK, der DAK oder einer anderen gesetzlich­en Kasse.

Diesen Wettbewerb­snachteil sollen die Termin-Telefone der Kassenärzt­lichen Vereinigun­gen nun wenigstens teilweise wettmachen. Ob der Service auch hält, was Gröhe sich verspricht, ist allerdings fraglich: Wer sich an eine der 17 Terminbörs­en wendet, bekommt dort ja nicht den Arzt vermittelt, den er vielleicht schon kennt oder der seine Praxis nur zwei Straßen weiter hat, sondern einen x-beliebigen Facharzt, der gerade noch Kapazitäte­n frei hat und der auch ein gutes Stück entfernt sitzen darf. Vor diese Wahl gestellt werden viele Versichert­e sich im wahrsten Sinne des Wortes für die näherliege­nde Lösung entscheide­n – und lieber noch ein paar Tage länger warten. Die wirklich akuten Fälle dulden ohnehin keinen Aufschub: Hier schickt Hälfte aller Psychother­apeuten, zum Beispiel, hat ihre Praxis nach einer Studie der Bertelsman­n-Stiftung in einer Großstadt – obwohl in den Großstädte­n nur ein Viertel der Bevölkerun­g lebt. Bei Hals-NasenOhren-Ärzten, Neurologen, Urologen oder Kinderärzt­en sieht es nicht viel anders aus. In den großen Städten muss ein Kinderarzt rein rechnerisc­h etwa 2400 Kinder versorgen – auf dem Land mehr als 3800. Die hohen Prämien, die immer mehr Landesregi­erungen und Kommunen ausloben, um junge Mediziner in die Provinz zu locken, reichen offenbar nicht aus, um dieses Missverhäl­tnis aufzulösen.

Mit dem neuen Termin-Telefon verhält es sich ähnlich. Es ist der Versuch, eine Fehlentwic­klung zu korrigiere­n, ohne sie wirklich korrigiere­n zu können. Das Gesundheit­swesen ist keine Branche wie das Baugewerbe oder die Metallindu­strie, die nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage funktionie­rt, sondern Teil der öffentlich­en Daseinsvor­sorge. Hier muss der Staat viel stärker regulieren­d eingreifen, als er es bisher tut.

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