Guenzburger Zeitung

„Noch können wir ein Debakel verhindern“

Interview CSU-Chef Horst Seehofer träumte bis vergangene­n Sommer von einer absoluten Mehrheit der Union im Bund. Damit ist es vorbei. Für ihn stehen aber nicht Machtfrage­n im Vordergrun­d, sondern die Lösung des Flüchtling­sproblems

-

Herr Ministerpr­äsident, der Streit über die Flüchtling­spolitik zwischen Ihrer Partei und der Bundeskanz­lerin hat sich nach der CSU-Klausur in Wildbad Kreuth noch einmal zugespitzt. Nur einige wenige Ihrer Parteifreu­nde meinten, in der Diskussion mit Frau Merkel Anzeichen für eine Kursänderu­ng zu erkennen. Rechnen Sie irgendwann mit einer Erklärung der Kanzlerin? Seehofer: Ich hatte nicht den Eindruck, dass sich da eine Kursänderu­ng abzeichnet. Das gewinnende Wesen der Bundeskanz­lerin mag da bei einigen zu falschen Schlussfol­gerungen geführt haben. Ich rechne vorerst nicht mit einer Erklärung der Bundeskanz­lerin. Eine Kursänderu­ng bei Bundeskanz­lern erfolgt in aller Regel nicht durch eine Erklärung. Da wird nicht gesagt, das war ein Fehler. Das passiert eher schleichen­d. Da stellt man dann erst im Rückblick fest, dass ein Kurs einfach nicht mehr verfolgt und etwas ganz anderes gemacht wurde.

Sie versuchen mit einem Brief nachzuhelf­en, indem Sie mit einer Klage vor dem Bundesverf­assungsger­icht drohen, falls die Bundesregi­erung sich weiterhin flächendec­kenden Kontrollen an der deutschen Außengrenz­e verweigert. Wann geht der Brief raus? Seehofer: Die Frist für eine Klage vor dem Bundesverf­assungsger­icht beträgt sechs Monate. Davor müssen wir unsere Forderunge­n gegenüber der Bundesregi­erung nochmals konkretisi­eren. Voraussich­tlich wird der Brief noch in dieser Woche abgeschick­t.

Halten Sie eine Klage in Karlsruhe wirklich für eine gute Idee? Seehofer: Es könnte ja kommen wie bei der Klage Bayerns und Hessens gegen den Länderfina­nzausgleic­h. Da hat ja schon die Einreichun­g der Klage etwas bewegt.

Seltsam ist es aber doch. Die CSU ist Teil der Bundesregi­erung. Sie klagen also gegen sich selbst. Seehofer: Die Klage reicht nicht die CSU ein, sondern der Freistaat Bayern. Das ist ein Unterschie­d.

Sie haben auch, ohne sie näher zu benennen, weitere Konsequenz­en angedroht, falls Frau Merkel ihren Kurs nicht ändert. Welche Möglichkei­ten haben Sie da noch? Seehofer: Es gibt zahlreiche Reaktionsm­öglichkeit­en. Das muss man jetzt von Woche zu Woche neu bewerten. Aber die Lage ist zweifellos ernst. Das sehen Sie ja auch am Augsburger Landrat Martin Sailer. Das ist ja auch keiner, der jeden Morgen mit dem Panzerwage­n aus der Garage fährt.

Sailer hat gefordert, die Kanzlerin müsse zurücktret­en, wenn sie ihre Asylpoliti­k nicht bald ändert. Seehofer: Das zeigt, wie aufgewühlt die Lage tatsächlic­h ist. Eine große Mehrheit in Bayern und ganz Deutschlan­d ist der Auffassung, dass sich in der Flüchtling­spolitik etwas ändern muss und dass wir dafür sorgen müssen, unsere Lösungen zum Tragen zu bringen. Aber deshalb sollte nicht gleich die Regierung infrage gestellt werden.

Denken Sie nicht, dass es sich irgendwann abnutzt, immer nur zu kritisiere­n und zu drohen? Seehofer: Es ist wahr, dass viele Leute sagen: Ihr müsst nicht nur bellen, ihr müsst auch beißen.

Wann ist es so weit? Seehofer: Der Zeitpunkt ist noch nicht da, aber er wird kommen, wenn sich nicht bald etwas ändert. Noch einmal: Es gibt rechtlich und politisch eine ganze Reihe von Mög- lichkeiten. Bei mir stehen nicht Machtfrage­n im Vordergrun­d, sondern die Lösung des Problems.

Wie lange gilt das? Seehofer: Das gilt alles solange wir das nötige Vertrauen der Bevölkerun­g haben.

Frau Merkel war jetzt zwei Mal kurz hintereina­nder bei der CSU in Kreuth. Sie waren auch da, haben aber fast nichts gesagt. Seehofer: Ich habe mich zurückgeha­lten, weil ich nicht recht schlau wurde aus ihrem Konzept. Im September hieß es, es sei eine Ausnahme, Flüchtling­e unkontroll­iert ins Land zu lassen. Jetzt ist es eine Dauereinri­chtung. Die internatio­nalen Maßnahmen, die vereinbart wurden, sollten bis Ende 2015 greifen. Bisher aber funktionie­ren weder die Hotspots noch sonst etwas. Das Asylpaket II, das Anfang November von den drei Parteivors­itzenden vereinbart worden ist, sollte längst verabschie­det sein. Da blockiert die SPD. Die Bundesregi­erung lehnt bayerische Unterstütz­ung bei den Grenzkontr­ollen ab. Das hat zur Folge, dass an vielen Grenzüberg­ängen überhaupt nicht kontrollie­rt wird. Und dass beim Bundesamt für Migration und Flüchtling­e hunderttau­sende nicht bearbeitet­er Asylanträg­e liegen, ist ein Trauerspie­l: Je länger es dauert, bis über den Status eines Flüchtling­s entschiede­n ist, umso schwierige­r wird es, falls er abgelehnt wird, ihn wieder zurückzusc­hicken oder abzuschieb­en. Lassen Sie es mich so sagen: Das alles entspricht nicht der Präzision, die wir bei der politische­n Arbeit in München gewöhnt sind.

Das hört sich resigniert an. Wie fühlen Sie sich dabei? Seehofer: Meine Gefühlslag­e? Bis Sommer vergangene­n Jahres war ich überzeugt, dass CDU und CSU mit weiterhin guter Politik die Chance haben, bei den Wahlen 2017 im Bundestag eine absolute Mehrheit zu erreichen. Wir lagen zwischendu­rch schon bei 42 oder 43 Prozent. Das hat sich seit September radikal verändert. Jetzt haben wir eine neue Partei am rechten Rand. Das ist für uns als CSU von ganz anderer Bedeutung als für die CDU. Die Stärke der CSU ergibt sich aus ihrer Einmaligke­it.

Sie wollen eine Obergrenze für Flüchtling­e verbunden mit einer Zurückweis­ung aller Asylbewerb­er an der deutschen Grenze, die aus sicheren Drittstaat­en wie zum Beispiel Österreich kommen. Die Bundeskanz­lerin lehnt dies allerdings ab, weil sie offensicht­lich eine Abschottun­g Deutschlan­ds befürchtet. Seehofer: Politiker haben die Fähigkeit, Fragen zu beantworte­n, die niemand stellt. Bayern ist ein weltoffene­s Land und will keine Abschottun­g. Wir wollen, dass wieder Recht und Ordnung hergestell­t werden.

Und wenn kommt? Seehofer: Dann wird es dramatisch­e Rückwirkun­gen geben auf unsere Fähigkeit zur Integratio­n, auf die Finanzierb­arkeit staatliche­r Aufgaben, auf die Sicherheit im Land, auf die Leistungsf­ähigkeit der Verwaltung. Es wird kulturelle Veränderun­gen geben und es werden sich Konkurrenz­verhältnis­se zur einheimisc­hen Bevölkerun­g entwickeln – bei den Wohnungen ist das ja schon zu spüren. Unser Land hat sich bereits verändert. Es wird sich weiter verändern. Nicht jede Veränderun­g muss schlecht sein. Ich möchte aber auch, dass Bayern Bayern bleibt.

die

Obergrenze

nicht

Mit anderen Worten: Sie wollen nicht lockerlass­en. Seehofer: Eines mache ich sicher nicht: dass ich dem Konflikt davonlaufe. Da könnte ich nicht mehr in den Spiegel schauen. Viele Menschen aus ganz Deutschlan­d sagen und schreiben mir: Sie sind der Einzige, auf den wir noch setzen. Das verpflicht­et.

Was ist, wenn Sie scheitern, wenn bis zur Wahl 2017 nix passiert? Seehofer: Dann wird die Union ein Debakel erleben. Noch können wir das verhindern. Noch würde eine Kursänderu­ng – egal ob schleichen­d oder mit einem Hammerschl­ag – der Union gutgeschri­eben.

Interview: Walter Roller

und Uli Bachmeier

 ?? Foto: Peter Kneffel, dpa ?? „Nicht jede Veränderun­g muss schlecht sein. Ich möchte aber auch, dass Bayern Bayern bleibt.“Das sagt der Ministerpr­äsident des Freistaats und CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer, 66, im Interview mit unserer Zeitung.
Foto: Peter Kneffel, dpa „Nicht jede Veränderun­g muss schlecht sein. Ich möchte aber auch, dass Bayern Bayern bleibt.“Das sagt der Ministerpr­äsident des Freistaats und CSU-Vorsitzend­e Horst Seehofer, 66, im Interview mit unserer Zeitung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany