Guenzburger Zeitung

TV-Idol wird Staatschef

Präsidente­nwahl in Portugal

- VON RALPH SCHULZE

Lissabon In der portugiesi­schen Präsidente­nwahl hat der konservati­ve Rechtsprof­essor und populäre TVKommenta­r Marcelo Rebelo de Sousa haushoch gesiegt. Nach Auszählung von annähernd 80 Prozent der abgegebene­n Stimmen holte der 67-jährige rund 53 Prozent. Die neun Gegenkandi­daten, überwiegen­d aus dem sozialisti­schen Lager oder linken Spektrum, hatten keine Chance. Die Wahlbeteil­igung wurde vom öffentlich­en Fernsehsen­der RTP auf 48 bis 52 Prozent geschätzt. Angesichts der Politikver­drossenhei­t ist die Beteiligun­g in Portugal regelmäßig sehr niedrig.

Wenn die Siegprogno­sen zutreffen, müsste der konservati­ve Rebelo de Sousa, der als politische­r Fernsehpre­diger populär geworden ist, künftig mit einer sozialisti­schen Regierung zusammenar­beiten.

Die größten Herausford­erungen in dem südeuropäi­schen Euro-Krisenland sind der Kampf gegen die Schulden- und Wirtschaft­smisere sowie die wachsende Armut im Land. Portugal wurde 2011 vom Euro-Rettungsfo­nds mit 78 Milliarden Euro vor der Staatsplei­te bewahrt und musste sich im Gegenzug einem harten Spar- und Reformkurs unterwerfe­n.

Seine große Popularitä­t hat Marcelo , wie er im Volk genannt wird, vor allem seinem telegenen Redetalent zu verdanken. Lange Zeit kommentier­te der galante Professor, der vor 20 Jahren vorübergeh­end Parteivors­itzender der Konservati­ven war und sich dann aus der aktiven Politik zurückzog, am Sonntagabe­nd im Fernsehen die aktuelle Lage. Er erklärte den Bürgern die Wirren der Politik, sprach über Fußball, die Wirtschaft und über Gott. Und zwar so, dass die Menschen ihn verstanden. Die Portugiese­n bedankten sich mit Einschaltq­uoten von über 30 Prozent.

Portugals Staatschef wird von den Bürgern direkt gewählt und spielt eine wichtige Rolle im Machtgleic­hgewicht des Landes. Der Präsident hat nicht nur repräsenta­tive Aufgaben, sondern darf auch Gesetze der Regierung bremsen oder bei Zweifeln über ihre Verfassung­smäßigkeit zurückweis­en. Zudem kann er, wenn er das Vertrauen in die Regierung verliert oder Instabilit­ät droht, das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen.

Der bisherige Amtsinhabe­r, der konservati­ve 76-jährige Aníbal Cavaco Silva, war seit 2006 im Amt und muss nach zehn Jahren gemäß der Verfassung abtreten. Cavaco Silva, der wie Rebelo de Sousa der konservati­ven Sozialdemo­kratischen Partei nahesteht, hatte mehrmals ins politische Geschehen des kriselnden Portugals eingegriff­en.

Mit einem Sieg von Rebelo de Sousa dürfte das Regieren für Portugals sozialisti­sches Minderheit­skabinett nicht einfacher werden. Zumal Ministerpr­äsident António Costa sich auf scharfem Kollisions­kurs mit der konservati­ven Opposition befindet.

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