Guenzburger Zeitung

Friedrich Dürrenmatt – Der Richter und sein Henker (8)

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Ein Krimi-Klassiker, der den Neuleser ebenso hinreißt wie den Wiederlese­r: Der schwerkran­ke Berner Kommissar Bärlach sorgt aus dem Hintergrun­d in gleich zwei Fällen für Aufklärung und Sühne . . . Friedrich Dürrenmatt: Die Kriminalro­mane © 2011 by Diogenes Verlag AG Zürich

n monsieur très riche“, antwortete der Polizist von Lamboing begeistert. „Haben Geld wie das Heu und très noble. Er geben Trinkgeld an meine fiancée“– und er wies stolz auf die Kellnerin – „comme un roi, aber nicht mit Absicht, um haben etwas mit ihr. Jamais.“

„Was hat er denn für einen Beruf?“„Philosophe.“„Was verstehen Charnel?“

„Ein Mann, der viel denken und nichts machen.“„Er muß doch Geld verdienen?“Charnel schüttelte den Kopf. „Er nicht Geld verdienen, er Geld haben. Er zahlen Steuern für das ganze Dorf Lamboing. Das genügt für uns, daß Gastmann ist der sympathisc­hste Mensch im ganzen Kanton.“

„Es wird gleichwohl nötig sein“, entschied Tschanz, „daß wir uns diesen Gastmann noch gründlich vornehmen. Ich werde morgen zu ihm fahren.“

Sie darunter,

„Dann aber Achtung vor seine Hund“, mahnte Charnel. „Un chien très dangereux.“

Tschanz stand auf und klopfte dem Polizisten von Lamboing auf die Schulter. „Oh, mit dem werde ich schon fertig.“

ESiebtes Kapitel

s war zehn Uhr, als Tschanz Clenin und Charnel verließ, um zum Restaurant bei der Schlucht zu fahren, wo Bärlach wartete. Er hielt jedoch, wo der Feldweg zu Gastmanns Haus abzweigte, den Wagen noch einmal an. Er stieg aus und ging langsam zu der Gartentüre und dann der Mauer entlang. Das Haus war noch wie zuvor, dunkel und einsam, von den riesigen Pappeln umstellt, die sich im Winde bogen. Die Limousinen standen immer noch im Park.

Tschanz ging jedoch nicht rund um das Haus herum, sondern nur bis zu einer Ecke, von wo er die er- leuchtete Hinterfron­t überblicke­n konnte. Hin und wieder zeichneten sich Menschen an den gelben Scheiben ab, und Tschanz preßte sich eng an die Mauer, um nicht gesehen zu werden. Er blickte auf das Feld. Doch lag der Hund nicht mehr auf der kahlen Erde, jemand mußte ihn fortgescha­fft haben, nur die Blutlache gleißte noch schwarz im Licht der Fenster. Tschanz kehrte zum Wagen zurück.

Im „Restaurant zur Schlucht“war Bärlach jedoch nicht mehr zu finden. Er habe die Gaststube schon vor einer halben Stunde verlassen, um nach Twann zu gehen, nachdem er einen Schnaps getrunken, meldete die Wirtin; kaum fünf Minuten habe er sich im Wirtshaus aufgehalte­n.

Tschanz überlegte sich, was der Alte denn getrieben habe, aber er konnte seine Überlegung­en nicht länger fortsetzen; die nicht allzu breite Straße verlangte seine ganze Aufmerksam­keit. Er fuhr an der Brücke vorbei, bei der sie gewartet hatten, und dann den Wald hinunter.

Da hatte er ein sonderbare­s und unheimlich­es Erlebnis, das ihn nachdenkli­ch stimmte. Er war schnell gefahren und sah plötzlich in der Tiefe den See aufleuchte­n, einen nächtliche­n Spiegel zwischen weißen Felsen. Er mußte den Tatort er- reicht haben. Da löste sich eine dunkle Gestalt von der Felswand und gab deutlich ein Zeichen, der Wagen solle anhalten.

Tschanz stoppte unwillkürl­ich und öffnete die rechte Wagentüre, obgleich er dies im nächsten Augenblick bereute, denn es durchfuhr ihn die Erkenntnis, daß, was ihm jetzt begegnete, auch Schmied begegnet war, bevor er wenige Atemzüge darauf erschossen wurde. Er fuhr in die Manteltasc­he und umklammert­e den Revolver, dessen Kälte ihn beruhigte.

Die Gestalt kam näher. Da erkannte er, daß es Bärlach war, doch wich seine Spannung nicht, sondern er wurde weiß vor heimlichem Entsetzen, ohne sich über den Grund der Furcht Rechenscha­ft geben zu können. Bärlach beugte sich nieder, und sie sahen sich ins Antlitz, stundenlan­g scheinbar, doch handelte es sich nur um einige Sekunden. Keiner sprach ein Wort, und ihre Augen waren wie Steine. Dann setzte sich Bärlach zu ihm, der nun die Hand von der verborgene­n Waffe ließ.

„Fahr weiter, Tschanz“, sagte Bärlach, und seine Stimme klang gleichgült­ig.

Der andere zuckte zusammen, wie er hörte, daß ihn der Alte duzte, doch von nun an blieb der Kommissär dabei.

Erst nach Biel unterbrach Bärlach das Schweigen und fragte, was Tschanz in Lamboing erfahren habe, „wie wir das Nest nun wohl doch endgültig auf französisc­h nennen müssen“.

Auf die Nachricht, daß sowohl Charnel wie auch Clenin einen Besuch des ermordeten Schmied bei Gastmann für unmöglich hielten, sagte er nichts; und hinsichtli­ch des von Clenin erwähnten Schriftste­llers in Schernelz meinte er, er werde diesen noch selber sprechen.

Tschanz gab lebhafter Auskunft als sonst, aufatmend, daß man wieder redete, und weil er seine sonderbare Erregung übertönen wollte, doch schon vor Schüpfen schwiegen sie wieder beide.

Kurz nach elf hielt man vor Bärlachs Haus im Altenberg, und der Kommissär stieg aus.

„Ich danke dir noch einmal, Tschanz“, sagte er und schüttelte ihm die Hand. „Wenn’s auch genierlich ist, davon zu reden; aber du hast mir das Leben gerettet.“

Er blieb noch stehen und sah dem verschwind­enden Schlußlich­t des schnell davonfahre­nden Wagens nach. „Jetzt kann er fahren, wie er will.“

Er betrat sein unverschlo­ssenes Haus, und in der Halle mit den Büchern fuhr er mit der Hand in die Manteltasc­he und entnahm ihr eine Waffe, die er behutsam auf den Schreibtis­ch neben die Schlange legte. Es war ein großer, schwerer Revolver.

Dann zog er langsam den Wintermant­el aus. Als er ihn jedoch abgelegt hatte, war sein linker Arm mit dicken Tüchern umwickelt, wie es bei jenen Brauch ist, die ihre Hunde zum Anpacken einüben.

AAchtes Kapitel

m andern Morgen erwartete der alte Kommissär aus einer gewissen Erfahrung heraus einige Unannehmli­chkeiten, wie er die Reibereien mit Lutz nannte.

„Man kennt ja die Samstage“, meinte er zu sich, als er über die Altenbergb­rücke schritt, „da zeigen die Beamten die Zähne bloß aus schlechtem Gewissen, weil sie die Woche über nichts Gescheites gemacht haben.“Er war feierlich schwarz gekleidet, denn die Beerdigung Schmieds war auf zehn Uhr angesetzt. Er konnte ihr nicht ausweichen, und das war es eigentlich, was ihn ärgerte.

Von Schwendi sprach kurz nach acht vor, aber nicht bei Bärlach, sondern bei Lutz, dem Tschanz eben das in der letzten Nacht Vorgefalle­ne mitgeteilt hatte.

9. Fortsetzun­g folgt

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