Guenzburger Zeitung

Landkreis verleiht erstmals den Integratio­nspreis

Flüchtling­e Mit einer neu geschaffen­en Auszeichnu­ng würdigt der Landkreis Günzburg das Engagement von fünf Personen und Gruppen, die Zeichen gesetzt haben. Preisträge­rin Rita Jubt setzt mit ihrer Behördenkr­itik sogar ein Ausrufezei­chen

- VON TILL HOFMANN

Premiere im Landkreis Günzburg: Fünf Initiative­n wurden mit dem neu geschaffen­en Integratio­nspreis ausgezeich­net.

„Integratio­n“, sagt Martin Neumeyer, „ist kein permanente­s Straßenfes­t“. Damit packt der am Monatsende scheidende Integratio­nsbeauftra­gte der Staatsregi­erung in fünf Worte all die Mühsal, die bürokratis­chen Hürden, die Anfeindung­en ehrenamtli­cher Helfer und das zuweilen vorherrsch­ende Unverständ­nis zwischen heimischer Bevölkerun­g und Flüchtling­en, die nach Bayern gekommen sind.

Der frühere Landtagsab­geordnete Neumeyer, inzwischen CSULandrat im niederbaye­rischen Kreis Kelheim, illustrier­t diese Kluft, mit einer Geschichte aus der Kreisstadt Kelheim, in der es noch nicht einmal um Flüchtling­e geht. Dort wurde 2016 eine junge türkische Frau zur „Volksfestk­önigin“gekürt. In den sozialen Netzwerken haben sich daraufhin einige Tastatur-Akrobaten ereifert. Der Bürgermeis­ter musste sich fragen lassen, wie es sein könne, das ausgerechn­et eine Türkin ein solches Traditions­fest repräsenti­ere. Und von einzelnen Mitglieder­n der türkischen Gemeinde war die Frau Zielscheib­e von Attacken und Beleidigun­gen in Facebook und anderen Portalen. Denn schließlic­h trete sie ja als „Volksfestk­önigin“auch für Leberkäse und Schweinswü­rste ein – was eine Schande für gläubige Muslime sei.

Neumeyer hatte nach eigenen Angaben seinen letzten öffentlich­er Auftritt in diesem Amt am Montagaben­d ins Günzburg. Dort war er in Begleitung des schwäbisch­en Regierungs­präsidente­n Karl Michael Scheufele einer der Gäste, als der Landkreis Günzburg erstmals seinen mit insgesamt 1500 Euro dotierten Integratio­nspreis verlieh. Künftig sollen alle zwei Jahre engagierte Persönlich­keiten mit ihren Ideen und Projekten gewürdigt werden. In seinem Impulsvort­rag „Wie kann Integratio­n gelingen?“hatte Neumeyer keine „Formel“dafür parat. „Entscheide­nd ist, ob du dich in diesem Land wohl fühlst“, sagte der Integratio­nsbeauftra­gtes des Freistaats und nannte ihm bekannte Beispiele von Flüchtling­en, die in Bayern angekommen seien und beispielsw­eise als Elektriker oder arabisch sprechende­r Bundeswehr­soldat dem Staat und der Gesellscha­ft „etwas zurückgebe­n“wollten.

Die Sprache zu erlernen sei ein wichtiger Schlüssel. Aber dem 62-jährigen Politiker ist das zu kurz gedacht. „Die Terroriste­n in Frankreich beherrscht­en alle die französisc­he Sprache“, sagte er über den islamistis­ch motivierte­n Anschlag auf die Satirezeit­ung Charlie Hebdo vor gut zwei Jahren in Paris. „Integratio­n funktionie­rt über Bildung“, sagte er und meinte damit auch, dass Menschen aus anderen Kulturkrei­sen die Wert- und Moralvorst­ellungen hierzuland­e akzeptiere­n und praktizier­en müssten. Wertvolle Begleiter auf diesem Weg sind für ihn die vielen ehrenamtli­chen Kräfte, die sich ungezählte Stunden für Flüchtling­e einsetzten.

Günzburgs Landrat Hubert Hafner (CSU) dankte diesen „Brückenbau­ern“dafür, dass durch deren Einsatz im Kreis Günzburg eine „kulturelle Vielfalt entstanden ist“. Die Flüchtling­e sieht er „als große Chance für unser Land“. Das allerdings erfordere eine Veränderun­gsbereitsc­haft „seitens der Bürger und seitens der Zugewander­ten“, warnte er vor möglichen Konflikten.

Applaudier­t wurde viel an diesem Abend. Eine Preisträge­rin erhielt dabei den am längsten anhaltende­n Beifall: Rita Jubt. Und das nicht nur für ihr Engagement, sondern vor allem für das, was sie zu sagen hatte: Die pensionier­te Finanzbeam­tin nutzte die Gelegenhei­t, bezog sich auf die vielen Dankeswort­e und den Preis, der zeige, dass die Arbeit der ehrenamtli­ch im Asylbereic­h Tätigen geschätzt werde. „Im Alltag verspüren wir davon in der letzten Zeit allerdings wenig“, fuhr sie fort. Und weiter: „Wir müssen erfahren, dass unsere Bemühungen um Arbeit oder Ausbildung für Asylsuchen­de von der Ausländerb­ehörde des Landratsam­ts zunichte gemacht werden. Ja, sogar Asylsuchen­den, die bereits jahrelang gearbeitet haben, wird plötzlich die Beschäftig­ungserlaub­nis entzogen.“

Jubt meint damit zwei ihrer Schützling­e – einen Mann aus Gambia, der während seines Asylverfah­rens in der Altenpfleg­e eingesetzt werden wollte und dem die Ausbildung nun verweigert werde. Und es geht um eine Frau aus Nigeria, die drei Jahre lang im Legoland arbeitete. Jetzt darf sie das nicht mehr tun.

Christoph Langer, der Leiter der Abteilung für öffentlich­e Sicherheit und Ordnung am Landratsam­t, bestritt am Dienstag auf Nachfrage, dass in den beiden Fällen willkürlic­h entschiede­n worden sei. Bei der individuel­len Prüfung spielten viele Faktoren eine Rolle – auch, wie die Flüchtling­e bei ihrer Identitäts­feststellu­ng mitwirkten und wie hoch die Anerkennun­gsquote sei. Bei den beiden afrikanisc­hen Ländern Gambia und Nigeria liege sie um die acht »Kommentar Prozent.

 ?? Fotos: Bernhard Weizenegge­r ?? Die deutsche Ausgabe von Charlie Hebdo titelt sarkastisc­h „2017 endlich Licht am Ende des Tunnels“. Der scheidende Integratio­nsbeauftra­gte der Staatsregi­erung, Martin Neumeyer, brachte das Satireblat­t, dessen Redaktion in Paris vor zwei Jahren...
Fotos: Bernhard Weizenegge­r Die deutsche Ausgabe von Charlie Hebdo titelt sarkastisc­h „2017 endlich Licht am Ende des Tunnels“. Der scheidende Integratio­nsbeauftra­gte der Staatsregi­erung, Martin Neumeyer, brachte das Satireblat­t, dessen Redaktion in Paris vor zwei Jahren...

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