Wenn Medikamente verschwinden
Gericht Einem Klinikarzt wird Diebstahl vorgeworfen. Der Nachweis fällt allerdings schwer
Was ist mit den Medikamenten passiert, die in einer Klinik im Landkreis Günzburg verschwanden? Eine genaue Antwort auf diese Frage gab es auch gestern nicht im Günzburger Amtsgericht. Dort fand zum zweiten Mal eine Verhandlung statt, bei der ein 49-jähriger Mediziner auf der Anklagebank saß. Der Vorwurf war derselbe wie im Sommer 2016: Der Anästhesist solle 20 Ampullen des Medikaments Somsanit gestohlen haben.
Somsanit enthält den Wirkstoff Gamma-Hydroxybuttersäure, kurz GHB. Dieser Wirkstoff wird in der Notfallmedizin eingesetzt, jedoch auch als Partydroge oder im Doping verwendet. Teuer ist es nicht, eine Ampulle hat einen Wert von etwa 2,50 Euro, wie in der Gerichtsverhandlung zu erfahren war. Frei verkäuflich ist es allerdings auch nicht. Auf der Intensivstation und der benachbarten Station der Klinik war den Mitarbeitern aufgefallen, dass die Bestände plötzlich schneller schrumpften als sonst. „Wir haben dann angefangen, regelmäßig nachzuzählen, um herauszufinden, ob unsere Beobachtung richtig ist“, sagte die Stationsleiterin vor Gericht aus. Zur selben Zeit berichteten Pflegekräfte den Stationsleitern über das „merkwürdige Verhalten“des Anästhesisten, der zunächst für einige Wochen als Leiharbeiter bei der Klinik tätig war, zu diesem Zeitpunkt jedoch eine Festanstellung erhalten habe. Mitarbeiter des Nachtdiensts, so schildert es der Leiter der Intensivstation, hätten den Mediziner am alphabetisch sortierten Medikamentenschrank, Buchstabe S, hantieren sehen. „Immer wieder haben Mengen Somsanit gefehlt, die Zeitpunkte ließen sich immer mit den Dienstzeiten des Arztes in Verbindung bringen“, gab der Stationsleiter zu Protokoll. Schließlich wurde der Geschäftsführer der Klinik informiert, der die Polizei rief. Die fand in den Taschen des Arztes fünf Ampullen des Medikaments, fünf weitere in seiner privaten Jacke im Krankenhausspind. In der Pension, in der er zu diesem Zeitpunkt wohnte, lag in einem Papierkorb eine Packung mit fünf leeren Ampullen.
Wie schon in der ersten Verhandlung im vergangenen Sommer hatte der Mediziner eine Erklärung dafür: Als die Polizei kam, habe er gerade einen Patienten betreut und deshalb vorsorglich die Ampullen in die Kitteltasche gesteckt. Bisweilen sei er in Arbeitskleidung nach Hause gefahren – und habe dabei wohl volle Ampullen versehentlich mitgenommen. Die habe er wieder in die Klinik bringen wollen – und dabei wohl in der Jackentasche vergessen. Auf ähnliche Weise seien die leeren Ampullen in sein Zimmer in der Pension gelangt. „Das war nicht korrekt von mir, das darf nicht sein“, räumte der Arzt ein. Er habe niemals vorgehabt, das Medikament weiterzugeben oder für sich zu behalten.
Wer wann Somsanit aus den Medizinschränken der Klinik entnimmt, ist nicht dokumentiert, die Beweislage dünn. Zudem war das Gericht schon im vergangenen Sommer nicht mit dem Fall vorangekommen. Richterin Franziska Braun regte deshalb eine Einstellung des Verfahrens gegen Zahlung einer Geldbuße an. 1800 Euro bezahlt der Mediziner nun an die katholische Jugendfürsorge Günzburg. Was mit den verschwundenen Medikamenten passiert ist, wird wohl ein Geheimnis bleiben.