Der Mann, den viele rechts liegen lassen
Porträt Der Rechtspopulist Geert Wilders war klarer Favorit für die Parlamentswahlen in den Niederlanden. Aber sein Vorsprung ist fast weg. Wendet sich das Blatt? Warum der Mann von Haus aus ein Problem hat und diese Wahl für ganz Europa wichtig ist
Dieser Auftritt in Spijkenisse war gut vorbereitet worden. Der Ort im Schatten der gewaltigen Kräne des Rotterdamer Hafens gilt als Hochburg für ihn: Geert Wilders, 53, Chef der rechtspopulistischen Partij voor de Vrijheid (PVV), seit 1992 verheiratet mit der ungarischen Diplomatin Krisztina Marfai. Für manche ist er der Hoffnungsträger dieser niederländischen Wahl am 15. März, für andere ein Rassist reinsten Wassers. „Ich konnte ihm schon mal die Hand schütteln“, erzählt der 64-jährige Ad Stoutjesdik, der auf dem Markt der Kleinstadt Handy- und Computerzubehör verkauft. Er hatte den Abend, als Wilders hier auftrat, mit vorbereitet. Man habe holländische Gulden gedruckt und verteilt, erzählt er, verziert mit der typischen wasserstoffblonden Haarpracht des Politikers. Ein Symbol für Wilders’ Ankündigung, aus dem Euro auszusteigen und ein Referendum über den Verbleib des 17 Millionen Einwohner großen Landes in der EU herbeizuführen.
An diesem Abend allerdings spielte Europa keine große Rolle, sondern der Islam. Obwohl er erst kurz zuvor wegen rassistischer Äußerungen verurteilt worden war, sprach er hier in Spijkenisse über den „marokkanischen Abschaum auf den Straßen“. Kündigte an, dass er den „Koran verbieten“lassen werde. Dass er sämtliche muslimischen Schulen und andere Einrichtungen schließen lassen werde. Und er die Grenzen dichtmachen wolle.
So steht es auch im sogenannten Wahlprogramm der Wilders-Partei, das er allein geschrieben hat. Es umfasst genau eine DIN-A4-Seite und wurde via Twitter verbreitet. „Sie lassen doch zu, dass unser Land islamisiert wird“, sagt Mareike Breuker, 34, die auf dem Markt ihren Obststand hat, in Richtung der amtierenden Regierung. „Ein Glück, dass es Wilders gibt, der wird das zu verhindern wissen.“
Geert Wilders ist der Mann, der nach Vorstellung der Rechtspopulisten in Europa den Anfang machen soll in diesem wichtigen Wahljahr. Ein Erfolg, so ihr Kalkül, würde Front-National-Chefin Marine Le Pen Rückenwind verschaffen, die sich am 23. April (Stichwahl 7. Mai) zu Frankreichs Präsidentin wählen lassen will. Und im September ist Deutschland dran, wo die AfD derzeit im Schnitt bei zehn Prozent liegt. Kürzlich haben Wilders, Le Pen und AfD-Chefin Frauke Petry bei einem Treffen in Koblenz schon den Schulterschluss demonstriert.
An diesem Februarabend in Spijkenisse jedenfalls schien die Welt von Wilders, den viele wegen seiner Frisur den „Trump der Niederlande“nennen, noch in Ordnung. Umfragen prophezeiten ihm einen Stimmenanteil von rund 23 Prozent in der 150 Sitze umfassenden Parlamentskammer. Genug, um alle anderen zu schlagen. Aber nicht genug, um zu regieren. Denn bis auf zwei unbedeutende Splittergruppen will niemand mit Wilders an einem Kabinettstisch sitzen. Alle Versuche einzelner Vertreter der rechtsliberalen Regierungspartei VVD von Ministerpräsident Mark Rutte, 50, sich in Richtung Wilders zu öffnen, scheiterten ebenfalls. „Null Prozent, Geert. NULL Prozent“, twitterte Rutte erst vor wenigen Tagen, um seinem Rivalen zu zeigen: Mit ihm wird niemand ein Bündnis eingehen. Stattdessen bezog der Premier selbst in großflächigen Zeitungsanzeigen deutlich gegen Ausländer Stellung. „Benehmt euch normal oder verlasst das Land“, lautete seine Botschaft.
Das wirkte. Die Zustimmung zu Wilders ist drastisch gesunken – auf nur noch 17 Prozent. „Zwei Millionen Wähler befürchten, dass ihre Stimme ohne Bedeutung sein könnte“, mutmaßen Wahlforscher, weil der Rechtspopulist keine Koalition zustande bringt. Man muss zwar mit Umfragen mittlerweile sehr vorsichtig umgehen. Der Erfolg von Donald Trump zeigt, wie sehr auch Demoskopen irren können. Doch an eine Kehrtwende wagt selbst im Wilders-Lager niemand mehr zu glauben. Zumal dieser inzwischen weder Interviews gibt noch Wahlkampfauftritte wahrnimmt. Grund ist: Ein Mitglied seines Personenschutzes mit marokkanischen Wurzeln wurde vor wenigen Tagen unter dem Verdacht festgenommen, Wilders’ Termine an kriminelle Banden weitergegeben zu haben. „Ich bin verunsichert“, twitterte dieser. Ob das tatsächlich so ist, weiß niemand. Der niederländische Polizeichef Erik Akkerboom sagt: „Die Sicherheit des Politikers war niemals gefährdet.“Geschürte Terrorangst als Wahlkampf-Kalkül?
Genau betrachtet beherrschen Wilders und das Ausländer-Thema nur auf den ersten Blick die niederländischen Wahlen. „Die Menschen machen sich Sorgen um ihre Zukunft“, beschreibt der Politologe André Krouwei von der Universität Amsterdam die Stimmung. Dies überrascht zunächst. Das Land kann mit einer Arbeitslosenquote von nur knapp über fünf Prozent punkten. Das Wirtschaftswachstum liegt deutlich über zwei Prozent. Statistisch gesehen sind unsere Nachbarn acht Prozent reicher als die Bundesbürger. Die Niederlande gelten als Vorzeigeland der Eurozone.
Doch diese Daten wurden mit tiefen Einschnitten in die soziale Landschaft erkauft. Die Abschaffung des staatlichen Gesundheitssystems, das durch ein privates ersetzt wurde, hat viele Menschen getroffen. So stieg die Selbstbeteiligung bei den Arztkosten von 150 Euro im Jahr 2008 auf 385 Euro in diesem Jahr. Die Mehrwertsteuer wurde erhöht, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre angehoben. Der Immobilienmarkt kollabierte – in einem Staat, in dem zwei von drei Einwohnern ein Eigenheim besitzen.
Während die Sozialausgaben sinken, stiegen die Ausgaben für Polizei und Justiz um rund 700 Millionen Euro in den zurückliegenden zwei Jahren. Und obwohl viele über einen angeblich zu laschen Umgang mit Zuwanderern schimpfen, gilt das niederländische Asylsystem als das schärfste Europas. Wer nach einem abgelehnten Aufnahmegesuch länger als 28 Tage bleibt, muss definitiv gehen. Wer nicht abgeschoben werden kann, erhält keinen Cent an staatlicher Unterstützung.
Während Ruttes Rechtsliberale für diesen Kurs mit nur geringen Abstrichen fast schon honoriert werden dürften, stehen die Sozialdemokraten als bisheriger Koalitionspartner vor einem Desaster. Ihnen werden höchstens acht Prozent vorhergesagt – nach 25 Prozent bei der letzten Wahl. Ob sie nach dem 15. März noch an einer Regierung beteiligt sein werden, ist offen.
Den Haag an einem Samstagmorgen. Hier hat die Regierung ihren Sitz. An diesem Vormittag reihen sich die Wahlstände der Parteien in der City aneinander. Überall wird diskutiert und gestritten. Raymon, 27, kündigt an, dass er sich von Wilders abwenden werde. „Er unterstützt Trump und will, dass wir aus der EU austreten. Das ist nicht mehr meine Partei“, sagt er. Gleich daneben erzählt Marianne Maaschalkerweed, 70, sie habe bisher immer die Christdemokraten gewählt. Jetzt tendiere sie zu 50Plus, einer Partei, die die Interessen der Rentner vertritt, aber Wilders nahesteht. Wieder ein paar Meter weiter schart ein Abgeordneter der linksliberalen D66 Fans um sich, als er durch ein Megafon ruft: „Wir dürfen unser Land nicht länger denen überlassen, die uns in Verruf bringen.“Ein Seitenhieb auf Wilders.
Auch das ist ein Problem der niederländischen Politik. Bis zu 15 Parteien können im Parlament vertreten sein. Mindestens vier oder fünf sind wohl dieses Mal nötig, um eine stabile Mehrheit zu finden. Die Koalitionsverhandlungen dürften Wochen dauern. Selbst als Wahlsieger kommt man in diesem Staat nicht automatisch an die Macht. Unsicher erscheint derzeit eigentlich alles. Ein Forschungsinstitut behauptet sogar, 77 Prozent der Wähler hätten sich noch nicht entschieden.
Die Verunsicherung wird zusätzlich durch eine Studie geschürt, die das Parlament gerade in Auftrag gegeben hat. Zwar sollen die Ergebnisse erst nach dem Urnengang vorliegen. Aber allein die Fragestellung sorgt für heftige Diskussionen: Hilft der Euro den Niederlanden oder schadet er? Im Visier haben die Experten vor allem die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Erste Rentner mussten bereits Abstriche an ihrer Betriebsrente hinnehmen, weil EZB-Chef Mario Draghi so stur an den niedrigen Zinsen festhält.
Das Analysehaus Sentix fand heraus, dass 4,25 Prozent der Investoren eine Wahrscheinlichkeit für ein Ausscheren des Landes aus dem Euro sehen. Das klingt nicht nach viel. Allerdings betrug diese Quote jahrelang weniger als ein Prozent. Die Fachleute sind sich darüber im Klaren: Dieses Land könnte die Eurozone gewaltig aufmischen. Auch ein Grund, warum diese Wahl für ganz Europa so wichtig ist.
Als er vom „marokkanischen Abschaum“sprach Eine neue Studie schürt die Verunsicherung