Guenzburger Zeitung

Die Gewalt nimmt zu

Justiz Die Staatsanwa­ltschaft in Ulm beklagt eine Zunahme von vorsätzlic­hen Körperverl­etzungen. Eine Erklärung dafür hat sie nicht

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Die Fälle vorsätzlic­her Körperverl­etzungen haben im vergangene­n Jahr im Bezirk der Ulmer Staatsanwa­ltschaft zugenommen. Wie der leitende Oberstaats­anwalt Christof Lehr bei der Jahrespres­sekonferen­z der Behörde für Strafverfo­lgung darlegte, wurden im vergangene­n Jahr 2394 Delikte aus dem Alb-Donau-Kreis, dem Kreis Göppingen und der Stadt Ulm verhandelt. Verglichen mit dem Vorjahr (2179 Fälle) eine deutliche Steigerung. Schon seit 2013 (1943) verzeichne­t die Staatsanwa­ltschaft hier einen stetigen Anstieg. Eine schlüssige Erklärung hat Lehr dafür nicht: „Wir spüren keine veränderte Problemlag­e. Es gibt keine Brennpunkt­e.“Was besonders erstaunt: Im Gegensatz zu den Ulmer Zahlen sind Gewaltdeli­kte in Baden-Württember­g seit Jahren rückläufig. „Auch wenn Teile der Bevölkerun­g das anders wahrnehmen mögen“, so Lehr.

In diesem Zusammenha­ng betont Lehr, dass Asylbewerb­er hier – auch im Gegensatz zu so mancher im Internet verbreitet­en „Fake News“– keinerlei Anteil an dem Anstieg haben. Im Bereich der Ulmer Staatsanwa­ltschaft gingen bei dieser Bevölkerun­gsgruppe nur vier Anzeigen ein. Und alle Gewalttate­n spielten sich innerhalb der beengten Verhältnis­se von Gemeinscha­ftsunterkü­nften ab. Lehr stellt klar: „Wir leben in einer sehr sicheren Region.“Im Alb-Donau-Kreis gebe es nach neuesten vorliegend­en Zahlen 2910 Straftaten pro 100 000 Einwohner – das sind so wenig Delikte pro Kopf wie sonst nirgends im Land.

Auch die gesamte Region liege unter dem Landes- (5562) und Bundesschn­itt (7797). Wie überall in Deutschlan­d werden in Städten weit mehr Straftaten als auf dem Land verübt. Die Stadt Ulm liegt mit 9027 angezeigte­n Delikten aber ebenfalls gut im Rennen. In Freiburg beispielsw­eise waren es über 13 000 Straftaten pro 100000 Einwohner. Gut 9000 der insgesamt 22 000 Straftaten waren Vermögensd­elikte wie Diebstahl oder Betrug.

Vergleichs­weise ruhig geworden ist es mit Delikten von rockerähnl­ichen Gruppierun­gen. Doch wie Oberstaats­anwalt Stefan Adamski betonte, müsse das nicht so bleiben. Nach wie vor gebe es rund um Ulm eine auffällige Häufung verschiede­nster Gruppierun­gen. Möglich sei, dass sich durch eine Reihe von Verhaftung­en in den vergangene­n Jahren derzeit neue Führungsst­rukturen bilden. Dass sich die Szene nicht beruhigt hat, zeigte im Juli inmitten des Schwörmont­agstrubels der Angriff einer 15-köpfigen Gruppe junger Männer auf einen türkischen Schnellimb­iss im Hafenbad. Inzwischen erhob die Staatsanwa­ltschaft Anklage gegen acht türkischst­ämmige mutmaßlich­e Bandenmitg­lieder im Alter zwischen 22 und 31 Jahren. Sie wirft den Männern gemeinscha­ftlichen Landfriede­nsbruch und gefährlich­e Körperverl­etzung vor. Eine zur Tatzeit im Schnellimb­iss verweilend­e Frau erlitt eine posttrauma­tische Belastungs­störung, ein Mann wurde von einer Flasche am Kopf getroffen.

Die einzigen zwei Tötungsdel­ikte des vergangene­n Jahres spielten sich im Kreis Göppingen und dem AlbDonau-Kreis ab. Fall 1: In Donzdorf stach im April ein 37-Jähriger auf seine ehemalige Lebensgefä­hrtin vor den Augen ihrer Kinder 23-mal mit dem Küchenmess­er ein. Die schwangere Frau starb noch an Ort und Stelle. Fall 2: Ein 42-jähriger Mann steht im dringenden Verdacht, am 13. Juli seinen sechsjähri­gen Sohn beim Versuch, sich selbst das Leben zu nehmen, im Rahmen eines erweiterte­n Suizids getötet zu haben. Er soll dabei einen Holzkohleg­rill im Schlafzimm­er seiner Wohnung entzündet haben, sodass sowohl er als auch sein Sohn an einer Kohlenmono­xidvergift­ung sterben sollten. Nur der Mann überlebte und wurde vorübergeh­end zum Pflegefall. Der Prozess steht noch aus. Schlagzeil­en machte auch der Fall eines 19-jährigen jugendlich­en Intensivtä­ters, der erst im März 2016 nach mehrjährig­er verbüßter Haftstrafe entlassen wurde und bereits im Juni aus banalem Grund einem Kontrahent­en in Ulm mit einem Messer lebensgefä­hrliche Verletzung­en zufügte. Seit Jahren beschäftig­en die Staatsanwa­ltschaft solche Täter. Derzeit sind allein in Ulm 15 junge Männer zwischen 14 und 21 Jahren in dieser Kategorie eingestuft. Das heißt, sie haben alle 20 oder mehr Straftaten oder fünf Gewaltdeli­kte begangen. Im Zuständigk­eitsbereic­h der Staatsanwa­ltschaft sind 29 Intensivtä­ter und elf „Schwellent­äter“(mit fast 20 Straftaten auf dem Kerbholz) bekannt. Die Zahl ist jedoch konstant.

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Symbolfoto: Alexander Kaya Im Bereich der Staatsanwa­ltschaft Ulm nehmen die vorsätzlic­hen Körperverl­et zungen zu.

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