Die Gewalt nimmt zu
Justiz Die Staatsanwaltschaft in Ulm beklagt eine Zunahme von vorsätzlichen Körperverletzungen. Eine Erklärung dafür hat sie nicht
Die Fälle vorsätzlicher Körperverletzungen haben im vergangenen Jahr im Bezirk der Ulmer Staatsanwaltschaft zugenommen. Wie der leitende Oberstaatsanwalt Christof Lehr bei der Jahrespressekonferenz der Behörde für Strafverfolgung darlegte, wurden im vergangenen Jahr 2394 Delikte aus dem Alb-Donau-Kreis, dem Kreis Göppingen und der Stadt Ulm verhandelt. Verglichen mit dem Vorjahr (2179 Fälle) eine deutliche Steigerung. Schon seit 2013 (1943) verzeichnet die Staatsanwaltschaft hier einen stetigen Anstieg. Eine schlüssige Erklärung hat Lehr dafür nicht: „Wir spüren keine veränderte Problemlage. Es gibt keine Brennpunkte.“Was besonders erstaunt: Im Gegensatz zu den Ulmer Zahlen sind Gewaltdelikte in Baden-Württemberg seit Jahren rückläufig. „Auch wenn Teile der Bevölkerung das anders wahrnehmen mögen“, so Lehr.
In diesem Zusammenhang betont Lehr, dass Asylbewerber hier – auch im Gegensatz zu so mancher im Internet verbreiteten „Fake News“– keinerlei Anteil an dem Anstieg haben. Im Bereich der Ulmer Staatsanwaltschaft gingen bei dieser Bevölkerungsgruppe nur vier Anzeigen ein. Und alle Gewalttaten spielten sich innerhalb der beengten Verhältnisse von Gemeinschaftsunterkünften ab. Lehr stellt klar: „Wir leben in einer sehr sicheren Region.“Im Alb-Donau-Kreis gebe es nach neuesten vorliegenden Zahlen 2910 Straftaten pro 100 000 Einwohner – das sind so wenig Delikte pro Kopf wie sonst nirgends im Land.
Auch die gesamte Region liege unter dem Landes- (5562) und Bundesschnitt (7797). Wie überall in Deutschland werden in Städten weit mehr Straftaten als auf dem Land verübt. Die Stadt Ulm liegt mit 9027 angezeigten Delikten aber ebenfalls gut im Rennen. In Freiburg beispielsweise waren es über 13 000 Straftaten pro 100000 Einwohner. Gut 9000 der insgesamt 22 000 Straftaten waren Vermögensdelikte wie Diebstahl oder Betrug.
Vergleichsweise ruhig geworden ist es mit Delikten von rockerähnlichen Gruppierungen. Doch wie Oberstaatsanwalt Stefan Adamski betonte, müsse das nicht so bleiben. Nach wie vor gebe es rund um Ulm eine auffällige Häufung verschiedenster Gruppierungen. Möglich sei, dass sich durch eine Reihe von Verhaftungen in den vergangenen Jahren derzeit neue Führungsstrukturen bilden. Dass sich die Szene nicht beruhigt hat, zeigte im Juli inmitten des Schwörmontagstrubels der Angriff einer 15-köpfigen Gruppe junger Männer auf einen türkischen Schnellimbiss im Hafenbad. Inzwischen erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen acht türkischstämmige mutmaßliche Bandenmitglieder im Alter zwischen 22 und 31 Jahren. Sie wirft den Männern gemeinschaftlichen Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vor. Eine zur Tatzeit im Schnellimbiss verweilende Frau erlitt eine posttraumatische Belastungsstörung, ein Mann wurde von einer Flasche am Kopf getroffen.
Die einzigen zwei Tötungsdelikte des vergangenen Jahres spielten sich im Kreis Göppingen und dem AlbDonau-Kreis ab. Fall 1: In Donzdorf stach im April ein 37-Jähriger auf seine ehemalige Lebensgefährtin vor den Augen ihrer Kinder 23-mal mit dem Küchenmesser ein. Die schwangere Frau starb noch an Ort und Stelle. Fall 2: Ein 42-jähriger Mann steht im dringenden Verdacht, am 13. Juli seinen sechsjährigen Sohn beim Versuch, sich selbst das Leben zu nehmen, im Rahmen eines erweiterten Suizids getötet zu haben. Er soll dabei einen Holzkohlegrill im Schlafzimmer seiner Wohnung entzündet haben, sodass sowohl er als auch sein Sohn an einer Kohlenmonoxidvergiftung sterben sollten. Nur der Mann überlebte und wurde vorübergehend zum Pflegefall. Der Prozess steht noch aus. Schlagzeilen machte auch der Fall eines 19-jährigen jugendlichen Intensivtäters, der erst im März 2016 nach mehrjähriger verbüßter Haftstrafe entlassen wurde und bereits im Juni aus banalem Grund einem Kontrahenten in Ulm mit einem Messer lebensgefährliche Verletzungen zufügte. Seit Jahren beschäftigen die Staatsanwaltschaft solche Täter. Derzeit sind allein in Ulm 15 junge Männer zwischen 14 und 21 Jahren in dieser Kategorie eingestuft. Das heißt, sie haben alle 20 oder mehr Straftaten oder fünf Gewaltdelikte begangen. Im Zuständigkeitsbereich der Staatsanwaltschaft sind 29 Intensivtäter und elf „Schwellentäter“(mit fast 20 Straftaten auf dem Kerbholz) bekannt. Die Zahl ist jedoch konstant.