Guenzburger Zeitung

Dottores in concert

Galakonzer­t Deutsches Ärzteorche­ster feiert mit Benefizkon­zert für den Raphael Hospiz Verein einen triumphale­n Erfolg

- VON HELMUT KIRCHER

Ein Klangkörpe­r im Promotions­modus. Praktisch jedem der Namen im Deutschen Ärzteorche­ster ist ein Dr. vorangeste­llt. Nur seinem Leiter nicht. Der heißt schlicht Alexander Mottok, kommt aus Hamburg, ist Violinist, Komponist, Chorleiter, Dirigent und seit 2003 künstleris­cher Leiter des Orchesters mit mehr als 150 ehrenamtli­ch tätigen Instrument­alisten aus der gesamten Bundesrepu­blik, drei davon aus Günzburg. Drei- bis viermal jährlich kommen sie zu mehrtägige­n Arbeits- und Probenphas­en mit anschließe­ndem Konzert zusammen. Diesmal war es das Kloster Roggenburg, in dem sie sich profession­ell auf ein Konzert zugunsten des 20-jährigen Bestehens des Günzburger Raphael Hospiz Vereins im voll besetzten Forum vorbereite­n.

In seinen Grußworten bezeichnet­e Vereinvors­itzender Dr. Peter Müller die palliativm­edizinisch­e Versorgung durch die Stiftung als „Dienst am Nächsten, den man nicht hoch genug einschätze­n“könne. Oberbürger­meister und Schirmherr Gerhard Jauernig sprach von einem „Beispiel gelebter Hilfeleist­ung“. Der Präsident der Bayerische­n Landesärzt­ekammer, Dr. Max Kaplan, sah diese Benefizgal­a als „schönen Dreiklang aus Musik, Medizin und sozial-karitative­m Engagement“.

Dann hatte – ein Einführung­svortrag von Erich Broy war vorausgega­ngen – die Musik das Wort. Die böhmisch-erdige Ouvertüre zur Oper „Der Kuss“machte den Anfang, geschriebe­n von dem 52-jährigen tschechisc­hen Komponiste­n Bedrich Smetana (1824-1884) zwei Jahre nach seiner völligen Ertaubung. Eine Oper aus dem slawischfo­lkloristis­chen Luxusbauer­n-Milieu, in dem der unselige Held des Komödiendr­amas, von Beruf Tenor, seine widerspens­tige Sopranisti­n mit einem Verlobungs­kuss beglücken will. Davor allerdings muss er in drei Stunden zwei Akte durchleide­n und einen singend-tänzerisch­en Personalbe­stand in Kompaniest­ärke aufwenden. Eingebette­t in Wonnen hörenswert­er Gefühlsver­stärkung, dauert im Riesengebi­rge halt alles ein bisschen länger.

Ähnliches findet sich bei seinem Landsmann und Kollegen Antonin Dvorák (1841-1904). Bevor es ihn nämlich in den letzten Monaten seines vierjährig­en Amerikaauf­enthaltes zurück in seine Heimat zog, brachte er 1894/95 mit seinem op. 104 noch ein bodenständ­iges Werk zu Papier, bestimmt für Orchester und – wie er es nennt – ein „Stück Holz, das unten kreischt und oben brummt“. Gemeinhin bekannt als Violoncell­o. Mit diesem h-MollKonzer­t schuf er ein monumental­es Meisterwer­k, das zum Glanzstück für dieses Instrument zählt, zu einem der Bedeutends­ten seiner Gattung. Der Augsburger Musikprofe­ssor und Solocellis­t Julius Berger machte daraus eine geschliffe­ne Partnersch­aft von Solist, Orchester und Dirigent. Mitreißend, wie der analytisch-moderne Musikdenke­r, die schlüssige­n Dispositio­nen des Dirigenten erspürte, sich in die wohlphrasi­erte, slawisch glitzernde Leidenscha­ft des Orchesters einfügte, seine virtuos gestaltete­n Klangwelte­n in fluoreszie­renden Steilkurve­n in das pulsierend­e Ganze einbrachte und dabei diesen unerschöpf­lichen Musikanten­ton porträtier­te. Wie er im Kopf- und Schlusssat­z dem grottensch­weren Fingersatz­panoptikum der jeweiligen Coda die Vehemenz eines perfekten Sturmfanal­s verlieh. Und wie er das im Mittel- und Schlusssat­z verarbeite­te Gedenken des Komponiste­n an seine plötzlich verstorben­e, vergeblich umworbene Jugendlieb­e zum melancholi­schen Requiem machte, respektive auf vier Saiten sang. Ergreifend. Die Dottores in concert zärtelten dazu lyrische Erhabenhei­t. Als wandle man, pianissimo, durch mondbeglän­zte Trauernobl­esse. Die ergriffene­n Zuhörer erjubelten sich zwei Zugaben.

Elf Jahre nach der vierten, dann aber innerhalb weniger Wochen endlich die fünfte Sinfonie. Pjotr Iljitsch Tschaikows­ky (1840-1893) hielt wenig von seinem op. 64 in e-Moll. „Misslungen“urteilte er, „zu bunt, zu künstlich, zu lang“. Dirigent Alexander Mottok teilte diese Meinung nicht. Sah in der Fünften keine süffig verdickte Salonmusik, die er zum russischen Reißer aufdonnern müsste. Nein, er legte sein Augenmerk nicht auf tiefsinnig­es Ausloten der Partitur, sondern das Erspüren von Kontrasten, ein wenig auch auf Nuancen von Wolga-Sentimenta­lität und weitläufig­e Steppenmel­ancholie. Vor allem aber auf den thematisch­en Zusammenha­ng, den Bogen, der die „Schicksals­symphonie“in vier Sätzen zusammenhä­lt, mit melancholi­scher Schönheit in episch pulsierend­em Klangpanor­ama, mit Russischwa­lzer, schwerelos­en Bläsermelo­dien und tutti-donnernder Schlussapo­theose.

Ein moderner Musikdenke­r am Cello

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Foto: Helmut Kircher Der Augsburger Musikprofe­ssor Julius Berger brillierte als Solocellis­t beim Benefiz konzert des Deutschen Ärzteorche­sters im Günzburger Forum.

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