Lotsendienste in die Berufswelt
Ausbildung Das Berufsbildungszentrum in Günzburg versucht junge Menschen so weit zu unterstützen, dass sie eine Chance auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Es ist eine Herkulesaufgabe
Günzburg Um 5.30 Uhr ist für Ken Egger die Nacht zu Ende. Die letzten Traumfetzen verschwinden schnell – verscheucht durch den Lärm, den der Wecker des 18-Jährigen gewohnheitsmäßig unter der Woche um diese Zeit verbreitet. Um 6.30 Uhr sitzt der Bursche im Bus. Von Glöttweng geht es nach Günzburg ins Berufsbildungszentrum (BBZ). Die Zeit reicht noch, um die letzten Meter Fußweg von der Haltestelle zum BBZ zu unterbrechen, in einen Supermarkt abzubiegen und kurz etwas zu essen: wenn man so will – ein Frühstück. Dann begibt sich Egger in die Hände von Albert Takaˇcs, seinem Ausbilder. Vielleicht ist der selbstständige Künstler Takaˇcs das Ticket in die Berufswelt für Ken Egger und die anderen Altersgenossen. Momentan steht er noch vor deren verschlossener Tür. Das soll sich ändern.
Deshalb will der hoch aufgeschossene Egger die Tricks und Kniffe, die ihm gezeigt werden, aufsaugen, wie es das Stück Schwamm, das er gerade in einer Hand hält, mit der verdünnten braunroten Acrylfarbe tut. Maler will er werden, weil er hier die Möglichkeit sieht, die „Kreativität ausleben zu können“. Er gibt die Antwort wie ein Profi und drückt damit, ohne es zu formulieren, aus, was er gerade ist: glücklich.
Der 18-Jährige aus Glöttweng gehört zu den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die ihre Schulpflicht erfüllt, aber keine Ausbildungsstelle gefunden haben und noch nicht älter als 25 Jahre sind. Für sie ist die Berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme (BvB) konzipiert, die von der Agentur für Arbeit bezahlt wird. In Krumbach versucht sich das Berufliche Fortbildungszentrum (bfz) der Bayerischen Wirtschaft darin, zehn Monate lang jungen Menschen noch eine Brücke zu bauen, die sie zu einer Ausbildung führt. In Günzburg ist es das BBZ. Dessen Gründerin Maria Klingenstein weiß noch, wie sie als einzige Lehrkraft mit sieben Schülern vor 29 Jahren angefangen hat. Gelehrt und gelernt wurde damals „Deutsch als Fremdsprache“. Das BBZ ist inzwischen an 21 Standorten tätig mit 380 festangestellten Kräften. Die Außenstelle in Günzburg in der Nähe des Bahnhofs gibt es seit dem Jahr 2009.
Während sich Ken Egger für das Berufsfeld „Farbe“entschieden hat, werden die jungen Menschen auch in anderen Bereichen wie Handel (Wirtschaft und Verwaltung), Lager und Logistik, Kosmetik/Körper- und Metall auf einen Ausbildungsberuf vorbereitet. Die Tage sind lang, dauern von 7.45 Uhr bis 17 Uhr. An drei Wochentagen werden die praktischen Fertigkeiten geschult. Am Dienstag und Freitag steht die Vermittlung von Mathe, Deutsch und Allgemeinwissen auf dem Stundenplan. „Wichtig ist es, hier Durchhaltevermögen zu zeigen. Nichts anderes wird auch später von einem verlangt“, sagt Sabine Schedel. Sie leitet die „BvB-Maßnahme“und wird von Gülcan Okumus unterstützt. Für beide Frauen ist das mehr als nur ein Job, den sie hier verrichten. Das machen sie deutlich, wenn sie im Gespräch in aller Herzlichkeit über ihre Schützlinge berichten, über deren Erfolge und Rückschläge. Schedel und Okumus sehen ihre Tätigkeit als Auftrag an, alles zu geben für das große Ziel „Ausbildungsplatz“. Die beiden Bildungsbegleiterinnen wissen: Furchtbar viele Chancen, einen qualifizierten Ausbildungsberuf zu ergreifen, wird es nach diesen zehn Monaten im BBZ, die mit dem Schuljahr enden, nicht mehr geben.
Fingerspitzengefühl ist gefragt, wenn die zurzeit 15- bis 21-jährigen BBZ-Besucher mit der Wirklichkeit konfrontiert werden. „Manche Bepflege rufsvorstellungen sind einfach unrealistisch“, sagt die Sozialpädagogin Okumus. Von ihren Wunschvorstellungen müssten einige Jungs und Mädchen erst einmal Abschied nehmen. „Wir versuchen ihnen beizubringen, wie wichtig es ist, mindestens noch einen Plan B in der Tasche zu haben.“Plan B, das wäre in diesem Fall einer der Berufe, die in der Günzburger BBZ-Außenstelle angeboten werden.
Zu über 200 Unternehmen in der Region haben die BBZ-Fachkräfte schon einmal Kontakt gehabt. Das hört sich nach einer großen Zahl an. Mit ungefähr einem Dutzend Firmen gebe es tatsächlich intensiven Austausch. Das relativiert. Den Satz, den Gülcan Okumus und Sabine Schedel oft hören müssen, wenn sie wegen einer Ausbildung vorstellig werden, ist folgender: „Wir sind keine soziale Einrichtung.“Das wurmt sie schon, auch wenn ihnen bewusst ist, dass die jungen Leute im BBZ, die den Unterricht oder die Werkstätten besuchen, oft genug „große Defizite“haben. Welche persönlichen Schicksale dahinterstehen, erfahren die Frauen vielleicht dann, wenn sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in einem Moment des Vertrauens öffnen. Die bis dahin zur Schau gestellte Coolness bröckelt dann oft ab wie ein alter Putz, der die innere Verletztheit zu verbergen wusste.
Vielen Arbeitgebern ist dieses Risiko zu groß. Sie winken ab. Werner Möritz, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Donauwörth, weiß, „dass die Superbewerber auch nicht mehr von den Bäumen fallen. Die Betriebe sollten sich verstärkt auf diese Möglichkeit einlassen, an Auszubildende zu kommen“, rät er. Seine Behörde ist an einer möglichst hohen Vermittlungsquote in die Ausbildungsberufe interessiert. Ein BBZ-Platz kostet die Arbeitsagentur überschlagen 1000 Euro im Monat. Am Ende der Maßnahme sind 10 000 Euro dafür zu zahlen. Das ist viel – und doch wenig, wenn es damit gelingt, einen jungen Menschen vor der Arbeitslosigkeit zu bewahren.
Wie es ist, nicht dazu zu gehören, weiß Ken Egger nur zu gut. Nach dem Mittelschulabschluss hatte er keinen Plan, wie es weitergehen sollte. Für die Bundeswehr hatte er sich als Freiwilliger vergeblich beworben. Er musste einmal mehr diese Versager-Erfahrung machen. Jetzt ist es anders. Egger soll demnächst mit einem Praktikum in einem Malerbetrieb beginnen – dank Takaˇcs’ Bemühung. Ken freut sich, wenn es klappt. Der Wecker darf dann auch noch früher klingeln.