Am Anfang war der Sprayer. Dann kam die Polizei
Street Art Graffiti fand vor gut 30 Jahren in München besonders viele deutsche Nachfolger. Jetzt zeigt die dortige Szene ihr Können zusammen mit Künstlern aus aller Welt in einer fiktiven Stadt
1985 wurde in München die erste S Bahn fast über ihre gesamte Länge besprüht
München „Grau in grau“, so ragte der Wasserturm von Buchloe lange Jahre in den Himmel – bis ein junger Allgäuer den Betonsockel auserkor, dort seine ersten Versuche in neuer Maltechnik zu unternehmen. Gerade einmal 15 Jahre alt war Mathias Köhler, als er sich 1983 mit Sprühdosen seiner Mutter auf dem Wasserspeicher verewigte.
Der Täter, so berichtete die Buchloer Zeitung damals, habe unter anderem „sehr treffend das Wort ,Graffiti‘ mit Lackfarbe aufgesprüht“, welches nichts anderes als „Wandschmierer“bedeute. Dass die noch etwas unförmigen Buchstaben damals den Grundstein für Köhlers Karriere legen sollten, daran hatte dieser seinerzeit wohl selbst nicht geglaubt. Heute ist der 1968 geborene Künstler unter dem Namen „Loomit“in der GraffitiSzene wohlbekannt.
Auch Graffiti ist kein Begriff mehr, der einer großen Erklärung bedarf – außer vielleicht jener, dass diese malerische Ausdrucksform weit über lieblose Kritzeleien an Hauswänden hinausreicht. In Städten der ganzen Welt haben sich Kreative die Straße als Kunstraum erschlossen, um dort ihre Werke anzubringen – für jedermann jederzeit kostenfrei zugänglich. Sie bedienen sich verschiedenster Werkmittel – von Sprühdosen über Papier und Stoff bis hin zu Videos. Wie vielseitig, elaboriert und auch politisch diese „Street Art“, die Kunst der Straße, sein kann, zeigt nun eine Ausstellung in der Münchner Olympiahalle.
„Magic City“heißt die Schau, die der New Yorker Kurator Carlo McCormick erschaffen hat: eine künstliche, magische Stadt, die 66 Künstler aus 20 Nationen versammelt. Von den Wänden, die Straßenzügen nachempfunden sind, strahlen großflächige Graffitis. Die Comic-bunten Weltraumechsen des US-Künstlers Mark Bode eröffnen den Blick in eine Zukunft im All; aus dem Werk des chinesischen Malers Qi Xinghua schnaubt dem Betrachter ein riesiger Drache entgegen. Filmaufnahmen und Zugmodelle erinnern an die Entstehungsgeschichte der Graffiti-Bewegung als Ursprung der Street Art.
„Wir wollten die Stadt mit all ihren Facetten zeigen“, sagt McCormick, „in all ihrer Lebendigkeit“. In der „Magic City“gibt es deshalb keine vorgegebenen Routen, jeder soll sie auf eigenen Pfaden erkunden. Der Lebensraum Stadt hat im Übrigen seit Generationen inspiriert – ob europäische Maler des 17. und 18. Jahrhunderts oder die Literaten und Bildenden Künstler des deutschen Expressionismus. Street Art nun nutzt den urbanen Raum auf ganz eigene Art: Sie interagiert mit ihrer Umgebung, macht sie sich zu eigen. Street-Art-Künstler greifen direkt in den Alltag ein und machen auf diese Weise manches sichtbar, was im Vorbeigehen verborgen bleibt.
Die Großzahl der in „Magic City“versammelten Arbeiten ist eigens für diese Schau entstanden, die im vergangenen Herbst in Dresden Premiere feierte. In München sind weitere internationale Künstler dazugekommen. Viele beschäftigen sich in ihren Arbeiten mit aktuellen politischen Themen. Der Ägypter Ganzeer – bekannt geworden durch seine Guerilla-Aktionen während der Revolution seines Heimatlands – hinterfragt rassistisch motivierte Polizeigewalt in den USA; Tristan Eaton, der schon für Barack Obama arbeitete, lässt in seinem Wandgemälde eine überdimensionale Friedenstaube steigen. Andere Arbeiten wie das bonbonfarben umhäkelte Karussell der Künstlerin Olek faszinieren vor allem durch ihre Kunstfertigkeit und Experimentierfreude. In diese unangepasste Vielfalt reihen sich auch die deutschen Künstler Loomit, WON ABC und Herakut ein.
Der Ausstellungsort München gilt, was manchen überraschen mag, als Keimzelle der deutschen Graffiti-Bewegung. „Die Stadt gibt Street Artists viel Raum“, sagt Loomit alias Mathias Köhler, der selbst seit mehr als 30 Jahren in München lebt und arbeitet. Als die Filme „Wild Style“und „Style Wars“über New Yorker Sprayer zu Beginn der 80er Jahre unter deutschen Jugendlichen eine Graffitibegeisterung auslösten, fiel diese in der Landeshauptstadt auf besonders fruchtbaren Boden. 1985 brachte es Loomit gemeinsam mit sechs anderen Künstlern in einer Nacht- und Nebelaktion fertig, erstmals in Deutschland eine S-Bahn fast über ihre ganze Länge zu besprühen. Die Aktion wurde als „Geltendorfer Zug“bekannt. In Folge entstand in München die erste deutsche Polizeisonderkommission für Graffiti.
Die eigene Verortung zwischen Illegalität und Legalität ist immer noch ein Diskussionspunkt für StreetArt-Künstler. Auch wenn viele Arbeiten inzwischen Eingang gefunden haben in Galerien und Museen, ist das unbestellte Verzieren öffentlicher Wände freilich auch heute nicht gestattet. Städte wie München oder Augsburg behelfen sich mit eigens ausgewiesenen Flächen gegen unerwünschte Graffitis an anderer Stelle. Gleichzeitig gibt es Stimmen, die den Aufstieg der Street Art in die etablierte Kunstszene – 2007 zahlte ein Sammler für eine Arbeit des britischen Künstlers Banksy, von dem zwei Leihgaben in München zu sehen sind, 1,87 Millionen Euro – kritisch sehen und um die Identität dieser Subkultur fürchten.
Dieser Gefahr muss sich sicherlich auch eine Ausstellung wie „Magic City“stellen. Einzelne Schauen könnten die Vielfalt der Szene aufzeigen, meint Loomit zwar. „Die Idee aber ist, denke ich schon, im öffentlichen Raum zu wirken.“Diese Positionsbestimmung muss am Ende wohl jeder, Künstler wie Betrachter, für sich selbst klären. O Die Ausstellung „Magic City“ist bis zum 3. September in der Kleinen Olympiahalle in München (Spiridon Louis Ring 21) zu sehen. Besucher können sich bei Workshops selbst in ver schiedenen Stilen probieren. Weitere Informationen im Internet unter www.magiccity.art.