Wenn ein Traum zum Albtraum wird
Fatima Kassem floh aus Syrien. Dann kam alles anders
Fatima Kassem ist 44 Jahre alt. Die syrische Frau steht vor den Trümmern ihres Lebens – ihr Ehemann hat sie verlassen und verstoßen. Die achtfache Mutter sitzt festlich gekleidet am Tisch der Asylunterkunft in Finningen, bietet Früchte und Süßigkeiten an und lächelt freundlich. Während sie ihre Geschichte mit ruhigen Worten erzählt, näht sie an einem reichlich bestickten Kleid. Zwei Mal sei die Familie vor dem Krieg in Aleppo, ihrer Heimatstadt, geflohen. Das erste Mal 2012. „Wir zogen nach Abu Dhabi in die Vereinigten Arabischen Emirate.“Nur die älteste Tochter blieb zurück, weil sie heiratete.
Weil die Lebensumstände in Abu Dhabi denen in Syrien gleichen und die Sprache dieselbe ist, war die Eingewöhnung in den Emiraten leicht. Während die erwachsenen Kinder in Ägypten und Jordanien studierten, besuchten die minderjährigen eine „gute Schule“. Alleinverdiener war der Ehemann, der als muslimischer Religionslehrer in einer Moschee Arbeit gefunden hatte. Gerade als das Leben wieder in normalen Bahnen zu verlaufen schien, verließ der Mann seine Familie. Er hatte sich in eine andere Frau verliebt und wollte sie heiraten. Damit stand Fatima Kassem ohne Unterstützung da. Und nicht nur das. Ohne Ehemann konnte sie ihr Visum in den Emiraten nicht mehr verlängern.
Sie musste zurück nach Aleppo – mitten ins Kriegsgeschehen. Auch die studierenden Kinder mussten aus dem Ausland zurückkehren. „Mein Vater hatte immer Geld für mein Studium in Kairo geschickt. Das war vorbei“, berichtet Nosiba, die 23-jährige Tochter. Wieder im Kriegsgebiet zu leben, bedeutete für sie, gleich mehrere Schlachtfelder zu betreten. Im größtenteils zerstörten Aleppo wurde es zunehmend schwieriger, bezahlbare Lebensmittel zu bekommen. „Wir waren von Hilfslieferungen abhängig“, berichtet Nosiba. Untergekommen war die achtköpfige Familie bei einem Onkel. Doch die Situation spitzte sich immer mehr zu. „Irgendwann kam der Moment, noch einmal unser Zuhause zu verlassen“, berichtet Fatima Kassem von der Flucht über die Balkanroute, wie sie 2015 viele Landsleute wagten.
Von München über Ulm gelangte die Familie nach Finningen. Asylhelfer unterstützen sie dort bei der Integration. Vorrang hat aktuell das Erlernen der deutschen Sprache. Fatima Kassem besucht derzeit einen Alphabetisierungskurs in Dillingen, die älteren Geschwister absolvieren einen Sprachkurs, der 17-jährige Sad besucht die Berufsschule in Höchstädt, die 13-jährige Abir die Mittelschule in Höchstädt und der fünfjährige Hassan den örtlichen Kindergarten.
„Mein Tag verläuft hier anders als in Syrien“, sagt Fatima Kassem seufzend. In der Vergangenheit hatte sie in einem eigenen Haus gelebt. Dort war immer etwas los. „Ich arbeitete als Frisörin“, begründete sie das lebhafte Treiben. In Finningen sei es dagegen sehr ruhig. (mit bäs)
Bei der Übersetzung war Katharina Hillenbrand vom Asylkreis Buttenwiesen behilflich.