Mit Gott auf dem Gipfel
Religion Sobald der Schnee geschmolzen ist, beginnen die Berggottesdienste
„Hebe deine Augen auf zu den Bergen, von welchen dir Hilfe kommt.“Gänsehaut ist garantiert, wenn diese Psalm-Vertonung von Felix Mendelssohn-Bartholdy erklingt. Auf den Bergen glaubten die Menschen seit jeher, ihrem Gott näher zu sein. Das Alltagsgewusel bleibt unten, der Gang in die Höhe erhebt den Geist, der Bergsteiger fühlt sich freier, vor allem wenn sich die Majestät des Gipfelpanoramas ausbreitet.
„Viele Wege führen zu Gott, einer geht über die Berge“, hat einmal der 2013 verstorbene Altbischof von Innsbruck, Reinhold Stecher, gesagt. Kein Wunder, dass sich Berggottesdienste immer größerer Beliebtheit erfreuen. Sobald der Schnee abgeschmolzen ist, beginnt die Saison. Und sie dauert bis weit in den goldenen Oktober.
Im Allgäu und Kleinwalsertal vergeht keine Woche, in der nicht mehrere Gottesdienste auf Gipfeln gefeiert werden. Vor allem bietet sich natürlich die Nähe zu einer Bergbahn an, denn nicht jeder Gottsucher ist auch ein Bergsteiger mit Kondition. Deshalb tauchen unter den Favoriten immer wieder das Fellhorn, die Kanzelwand, das Nebelhorn und das Walmendingerhorn im Oberstdorfer bzw. Kleinwalsertal, das Hochgrat und das Hündle in der Nähe von Oberstaufen und der Tegelberg bei Füssen auf. Die Seelsorger in Scheidegg streben nicht ganz so hoch hinauf; der Kreuzberg und die Gaisalpe sind leicht zu erklimmen. Schließlich gibt es die Gottesdienste mit Bergblick, etwa beim Camping am Hopfensee, am Rottachspeicher bei Sulzberg, am Großen Alpsee oder am Schwaltenweiher bei Pfronten. Auch auf der Siedelalpe bei Missen-Wilhams, am Söllereck, auf dem Mittag bei Immenstadt und dem Imberger Horn bei Bad Hindelang.
Ein Kreuz steht auf jedem Gipfel. Wo häufiger Gottesdienst gefeiert wird, ist oft ein Altar aufgerichtet und es stehen Sitzgelegenheiten bereit. Schwieriger wird es schon bei den Kerzen, die gern der Wind wieder ausbläst, und beim Altartuch, das mitunter ins Flattern gerät. Und Liedzettel machen sich im Freien auch gerne selbstständig. Genießen dürfen Gottesdienstbesucher, wenn eine Blasmusik aufspielt. Oder noch schöner: ein Alphorn-Ensemble wie traditionell bei der Älpler-Letze zum Ende der Saison auf dem Fellhorn.
Für steife Kleriker ist auf den Bergen kein Platz. Zum Gipfel steigt sogar der Bischof in Wanderkluft auf. Im Gebirge kommt man sich näher, Bergkameraden bilden eine Gemeinschaft. Nicht zuletzt deswegen finden auf den Allgäuer Bergen so viele ökumenische Gottesdienste statt. Etwa jeden Freitag am Gipfelkreuz des Hündle oder dienstags auf der Bergstation der Hochgratbahn in den Sonnenuntergang hinein.
Immer wieder gibt es besonders gestaltete Feiern. Am 13. Juni singen die Staufner Jodler auf dem Hochgrat. Am 17. Juni wird der evangelische Regionalbischof Michael Grabow an der Kanzelwand mit der Trachtenkapelle d’Hirschegger feiern. Der Posaunenchorverband der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern spielt am 15. Juli auf der Fellhorn-Station Schlappoldsee auf. Die Stadtkapelle Immenstadt und die Städler Alphornbläser sind am 23. Juli bei der Bergmesse am Mittag dabei. Der Trientiner Bergsteigerchor wirkt am 6. August auf dem Fellhorn mit.