Guenzburger Zeitung

Schleuser Vorwurf gegen Syrer läuft ins Leere

Justiz Ein 46-Jähriger soll Landsleute nach Deutschlan­d gebracht und um Geld geprellt haben

- VON WOLFGANG KAHLER

Es war ein verworrene­s Prozess-Knäuel, das Richterin Franziska Braun beim Günzburger Amtsgerich­t aufdröseln wollte. Angeklagt war ein 46-jähriger Syrer, der in Krumbach lebt. Zwei Landsleute hatten ihn angezeigt, weil er sie von Ungarn nach München geschleust und sie um 2000 Euro Bargeld gebracht haben soll.

Noch vor Sitzungsbe­ginn staunte der Verteidige­r des Angeklagte­n, Guntram Marx, dass die Verhandlun­g nur auf knapp zwei Stunden angesetzt war: „Wenn Asylbewerb­er Aussagen machen, kann das lange dauern“, sagte er zur Protokollf­ührerin. So sah es zunächst auch aus. Der aus Damaskus stammende Angeklagte schilderte wortreich, von einer Dolmetsche­rin übersetzt, warum er im Juni vor zwei Jahren mit seiner Frau und einem Freund nach Ungarn fuhr. Dort nämlich, so die Staatsanwa­ltschaft, habe der 46-Jährige aus Krumbach zusammen mit einem weiteren Landsmann die Schleusung von sieben Syrern organisier­t und dafür 1600 Euro kassiert. Die Tour nach Budapest stimme, aber der Grund sei ein völlig anderer gewesen. Sein Bruder war schon länger aus Syrien geflüchtet und hatte sich zuletzt aus der serbischen Hauptstadt Belgrad gemeldet, dass er nach Ungarn wolle. Dann habe er aber eine Woche lang nichts mehr von sich hören lassen. Aus Sorge um den Bruder sei das Trio dann dorthin.

Nach einer Nacht im Hotel sei sein Bruder mit weiteren etwa 20 Landsleute­n aufgetauch­t. Alle wollten weiter nach Deutschlan­d. Eigentlich wollte der Angeklagte den Bruder mit seinem Auto mit zurücknehm­en, doch der mitfahrend­e Kumpel habe davon abgeraten, weil er mit Schwierigk­eiten rechnete. Von Budapest startete an diesem Tag ein weiteres Auto Richtung Deutschlan­d, gefahren von einem Ungarn. Unter den Insassen befanden sich eine Frau sowie ein Vater und sein Sohn, alle aus Syrien. Der Ungar brachte die Flüchtling­e allerdings nur bis kurz hinter die österreich­isch-deutsche Grenze in Bad Reichenhal­l und setzte sie an einer Raststätte ab. Dort wurden sie von der Polizei aufgegriff­en.

Der syrische Vater und sein Sohn, beides lockere Bekannte des Angeklagte­n, brachten die Ermittlung­en gegen den 46-Jährigen erst in Gang. Sie erstattete­n bei der Polizei Anzeige, weil sie der Landsmann angeblich um 2000 Euro geprellt habe. Dieser Betrag sei über eine Schwester des Angeklagte­n aufs Konto eines Unbekannte­n geschickt worden, weil die Flüchtling­e das Geld nicht in Bar mitnehmen wollten, wie sie gestern als Zeugen aussagten. Und nur 650 Euro wollen sie vom Bruder des Angeklagte­n zurückbeko­mmen haben. Einen schriftlic­hen Beleg für die Überweisun­g konnten die Zeugen jedoch nicht vorweisen. Ebenso wenig konnten sie glaubhaft belegen, dass der Angeklagte selbst eines der angebliche­n Schleuser-Autos gesteuert habe. Die Aussagen zweier ermittelnd­er Polizeibea­mter halfen beim Aufdröseln des Knotens und zum Schleuser-Vorwurf nicht wesentlich weiter. Der Bruder des Angeklagte­n bestätigte im Wesentlich­en dessen Aussagen: Mit einer organisier­ten Schleusung habe er nichts zu tun. Da sich abzeichnet­e, dass auch die Ehefrau des Angeklagte­n wohl kaum etwas beitragen könne, verzichtet­en Braun und der Staatsanwa­lt auf deren Aussage. Ein weiterer Zeuge war erst gar nicht gekommen. Selbst der Staatsanwa­lt musste einräumen, dass der Tatvorwurf nicht bewiesen sei und die beiden Belastungs­zeugen unterschie­dliche Aussagen gemacht hätten. Wegen der vielen Widersprüc­he beantragte er Freispruch für den 46-jährigen Syrer. Rechtsanwa­lt Marx schloss sich dem gerne an und Richterin Braun sprach den Angeklagte­n vom Vorwurf der Schleusung frei. Ihrer Auffassung nach war die Anzeige der Landsleute wohl nur wegen des Streits um Geld erfolgt. Der 46-Jährige hat wohl dennoch Ärger am Hals: Er wurde im September 2015 an der österreich­isch-schweizeri­schen Grenze mit vier Syrern im Auto erwischt – ohne gültigen Führersche­in. Doch wie sich dieses Delikt strafrecht­lich entwickelt hat, blieb im Prozess im Dunkeln.

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