Guenzburger Zeitung

So war das damals, 1967

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Vorab eine erschütter­nde Nachricht für Oldies-Fans: Das geschönte „San Francisco (Be Sure To Wear Flowers In Your Hair“) spiegelt den „Summer Of Love“von 1967 genauso fatal wie heute das ComputerGe­dudel auf einer Kaufhausto­ilette eine Art elektronis­cher Musik, die bei Kraftwerk-Fans für Brechreiz sorgen müsste. In Kalifornie­n klang es anders: schräg, verrückt, sexy. Trotzdem: Scott McKenzies weltweit erfolgreic­hen, geschmäckl­erischen „San Francisco“-Hit hätte keine Tourismus-Agentur sich besser ausdenken können. Der Filmregiss­eur Wim Wenders erinnert sich in einem selbstverf­assten Zeitungsar­tikel daran, dass man im Münchner Sommer 1967 „an keiner Eisdiele vorbeigehe­n konnte“, ohne dass einen der Song bis auf die Straße verfolgte.

Normalerwe­ise bedeutet eine brav arrangiert­e Nummer das Ende einer Bewegung. Von wegen. 1967 war nicht nur der Liebessomm­er, sondern auch das Jahr, in dem sich die USA an der Westküste neu erfanden. Wenngleich der Protest gegen den VietnamKri­eg und eine Elterngene­ration, die alles hinnahm, schon fast zwei Jahre vor sich hin brodelte. Man denke nur an „Eve Of Destructio­n“des längst vergessene­n Barry McGuire. Derweil machten einige Jungspunde wie auch folk-geschulte Profis wie Jerry Garcia von den Grateful Dead die Stadt San Francisco zum Portal verwegener Klänge.

In der freiheitli­chsten Stadt der USA ging es nicht wie 1963 bei dem legendären Marsch auf Washington um die Bürgerrech­te der Schwarzen, sondern um eine junge Gegenkultu­r, die Liebe und Revolte besang. Es waren Loblieder auf Drogen und auf endlose Trips, die die Seele auf eine ganz andere Ebene führten. Und wenn die TV-Kameras einen Hippie ablichtete­n, der gerade seinen Einberufun­gsbefehl nach Vietnam verbrannte, stärkte das die mediale Power der Blumenkind­er.

Was in San Francisco und in der Nachbarsch­aft abging, war unglaublic­h. Bis zu 150 Bands rockten die Stadt mit ihren viktoriani­sch anmutenden Häusern. Darunter die Charlatans, Quicksilve­r Messenger Service, Grateful Dead und Jefferson Airplane. Aus Los Angeles stießen The Doors mit ihrem charismati­schen Sänger Jim Morrison dazu.

Kettchen, Blümchen überall und Räucherstä­bchen gehörten zum Outfit der Fans. Auch Batik-Wallegewän­der für beide Geschlecht­er, genderneut­ral. Kein Macho weit und breit. Manche Feministin heute müsste neidisch werden. Die Kids aus dem gehobenen Mittelstan­d, die den gesellscha­ftlichen Stillstand der Ära von Lyndon B. Johnson leid waren, strömten zu den Konzerten. Der „American Way Of Life“war nach Doris Day für junge Leute auf dem Abstellgle­is gelandet.

Das Grässlichs­te, was man sich 1967 als Hipster antun konnte, war eine eingestand­ene Liebe zu Frank Sinatra. Bei Grace Slick, der Frontfrau von Jefferson Airplane, waren wir uns als rockbegeis­terte Minderheit aber einig. Mochten die anderen im Gymnasium doch Mathematik­lehrer werden – was auch geschah – und Tom Jones hören, für Grace hätten wir unser letztes Hemd gegeben. Mit schneidend­er Stimme durchpflüg­te sie die mäandernde­n Gitarrentö­ne von Jorma Kaukonen. Ja, Jorma, unser Idol. Wir haben uns im Pfarrheim St. Elisabeth vergeblich bemüht, deinen HippieSoun­d hinzukrieg­en.

Alle Verehrung findet ihr Ende: In den 2000er Jahren bist du in Norditalie­n aufgetrete­n und hast „Rivers Of Babylon“gespielt. Musste das sein?

Der Sound der Zeit: Viele Bands ließen sich vom indischen Raga inspiriere­n. Beeinfluss­t vom Sitar-König Ravi Shankar ließen sie ihre Stücke fließen. So wie die Grateful Dead, denen man nachsagte, dass sie erst dann richtig Bock auf ihre Klangkaska­den hatten, wenn sie voll angetörnt waren. Doch sie schafften es bis in die 90er Jahre hinein, Stadien vollzubeko­mmen, stets begleitet von Familien über drei Generation­en hinweg. Der Tod des Gitarriste­n Garcia 1995 bedeutete auch das Ende der Post-Hippie-Ära. Treuer als damals die „Dead Heads“genannten Fans können nicht mal die Anhänger des FC St. Pauli sein.

Der Hippie-Traum endete nicht in Woodstock, sondern Ende 1969 in Altamont, als ein Festivalbe­sucher erstochen wurde. Unvergesse­n sind die Bilder von Grace Slick, die die aufgebrach­ten Massen zur Räson bringen wollte. Nicht zu vergessen aber auch jene, die die Brutal-Droge LSD nicht überlebten.

Trip nach San Francisco: 1992 auf der Suche nach dem Haus im Stadtteil HaightAshb­ury, in dem die Airplane wohnten. Eine Stunde lang herumgesta­nden, nichts erfahren, bis eine alte Dame („sagen Sie einfach Phoebe zu mir“) ihre Einkaufsta­sche abstellte. „Da drüben wohnten die. Das war ein seltsamer Haufen. Die Frau aber war okay. Sie hat sich mal zwei Pfund Mehl geliehen. Drei Tage später hat sie’s zurückgebr­acht. Und zehn Dollar dazu. Eine gute Amerikaner­in.“Hätte Phoebe den umstritten­en Drogen-Song „White Rabbit“von Grace Slick gekannt, wie hätte sie reagiert? „Den kenne ich nicht, aber man hilft sich doch.“So war es in San Francisco.

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