„Tatsächlich ist kein Problem gelöst“
Interview Die Flüchtlingskrise, Erdogan, die Versprechen der Union: Martin Schulz verschärft den Ton. Aufgegeben hat sich der Kanzlerkandidat der SPD trotz flauer Umfragewerte noch nicht. Was er jetzt von Europa erwartet
Herr Schulz, Sie sind fulminant gestartet, die SPD steht geschlossen hinter ihrem Kandidaten, was in früheren Wahlkämpfen nicht immer der Fall war. Warum war der Hype so schnell wieder zu Ende?
Ich habe dem nie ganz getraut. Wir haben dann zwei Landtagswahlen verloren, darunter die in Nordrhein-Westfalen. Für die SPD ist das so, als würde die CSU Bayern verlieren. Das mussten wir erst mal wegstecken. Im Moment liegen wir bei 25 Prozent – das reicht nicht, um die Bundestagswahl zu gewinnen, ist aber deutlich mehr als die 20 Prozent, als ich die SPD-Führung übernommen habe. Und 35 Prozent der Bürger sagen, sie hätten sich noch nicht entschieden, für mich als Wahlkämpfer ist das die wichtigste Zahl.
Sind diese 25 Prozent nur eine Laune der Demoskopie – oder haben Sie auch selbst Fehler gemacht?
Bestimmt. Ich habe mich auf Bitten von Hannelore Kraft aus der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen herausgehalten. Hannelore Kraft lag bis kurz vor der Wahl klar vorne. Dann kam alles ganz schnell ganz anders. Da hätte ich aktiver sein sollen. Diese Begeisterung um mich war mir selbst unheimlich und heute wissen wir: der explosionsartige Anstieg in den Umfragen war nicht nachhaltig. Auf der anderen Seite haben wir seitdem 22 000 Mitglieder gewonnen – das ist nachhaltig. Sehr sogar.
Nach einer neuen Studie wählen nur noch 17 Prozent der Arbeiter die SPD, aber 34 Prozent die Alternative für Deutschland. Ist die SPD keine Arbeiterpartei mehr?
Ich habe meine Zweifel an solchen Zahlen. Der überwiegende Teil der Industriearbeiterschaft Es sei denn, der- oder diejenige beantragt Asyl.
Dann wird das geprüft. Und jemand, der Asyl beantragt und uns täuscht, kann sich anschließend nicht mehr auf das Einwanderungsrecht berufen. Warum weigert sich die Union, darüber zu reden? Das Gefasel unseres Innenministers über Leitkultur kann ich nicht mehr hören. Gehört dazu auch die sprichwörtlich preußisch-korrekte Bürokratie? Davon sehe ich bei Herrn de Maizière, dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge untersteht, nicht viel. Da kann sich ein Rechtsextremer als syrischer Flüchtling registrieren. Darum sollte Herr de Maizière sich mal kümmern.
Ist unsere Bürokratie überfordert – oder die Politik?
Wir brauchen geordnete Verhältnisse und legale Zugänge über ein europäisches Einwanderungsgesetz. Viele beantragen nur Asyl, weil es ihre einzige Chance ist. So würden wir den Schleppern schnell das Handwerk legen. Aber die Union führt stattdessen diese Debatte über die Obergrenze. Im Moment ist es doch so: Dass wir keine klaren europäischen Regeln haben, sorgt für Chaos. Das regt mich auf und viele andere Leute auch.
Sie haben sich lange dafür starkgemacht, dass die Türkei Mitglied der Europäischen Union wird. Wie sehr haben die Ereignisse seit dem Putsch vor einem Jahr Ihren Blick auf die Türkei verändert?
Das geht schon länger zurück. Erdogan war anfangs ein Reformer. Nun ist er auf dem Weg in die Autokratie und bricht die Brücken nach Europa ab. Wir sollten die Ausweitung der Zollunion stoppen – das trifft Erdogan wirklich – und die