Guenzburger Zeitung

Drei Männer wollen Irene

Neuer Tagesroman Bernhard Schlinks „Die Frau auf der Treppe“erscheint ab morgen in unserer Zeitung

- VON RÜDIGER HEINZE

„Karl Schwind ist derzeit nun einmal der berühmtest­e und teuerste Maler weltweit.“

So lautet der zweite Satz von Bernhard Schlinks so ausgefalle­nem wie lesenswert­em Roman „Die Frau auf der Treppe“, den wir ab morgen in dieser Zeitung als Fortsetzun­gsroman abdrucken.

Der Name Karl Schwind ist zwar erfunden – aber hinter dem Namen steht ein Künstler, der tatsächlic­h weltberühm­t und hoch gehandelt ist: Gerhard Richter, der 1932 in Dresden geborene und heute in Köln arbeitende Maler und Bildhauer. Und hinter dem Roman-Titel „Die Frau auf der Treppe“steht Gerhard Richters Gemälde „Ema. Akt auf einer Treppe“von 1966, dieses im Kölner Museum Ludwig hängende Schlüsselw­erk.

Es zeigt eine die Treppe herabsteig­ende nackte Frau – in der Realität Gerhard Richters erste Ehefrau. Im Roman: Irene. Und dieses Gemälde ist gleichsam ein Protagonis­t von Bernhard Schlinks fiktivem Roman, ein Gemälde, das – wie in einem Krimi – umkämpft und gejagt wird. Weil es eben ein Hauptwerk von Karl Schwind ist. Der Eigentümer des Bildes einerseits, nämlich der reiche Unternehme­r Gundlach, Karl Schwind anderersei­ts, dem viel an seinem bedeutende­n Frühwerk gelegen ist, stehen im juristisch­en Streit um die notwendige Restaurati­on des Gemäldes und um dessen Nutzungsre­chte durch Abbildung.

Die Auseinande­rsetzungen macht gewiss nicht einfacher, dass die porträtier­te Irene zwar noch immer die Frau des Unternehme­rs ist, aber als Geliebte längst zum Maler Schwind übergelauf­en ist. In einem Satz: Beide Männer wollen Irene haben – sowohl als Mensch wie als Abbild.

Doch haben sie die Rechnung ohne Irene selbst gemacht. Sie dreht mit Hilfe jenes Rechtsanwa­lts, der im juristisch­en Streit zwischen Gundlach und Schwind vermitteln soll, ihr eigenes Ding… Wobei sich besagter Anwalt mindestens berufsethi­sch schuldig macht… Auch er liebt mittlerwei­le Irene… Aber er wird sie erst viele Jahre später in Australien wiedersehe­n, wenn es zu spät sein wird für ein längeres Zusammenle­ben …

In dieser Knappheit wiedergege­ben, mag die Roman-Handlung ein wenig konstruier­t anmuten. Aber Bernhard Schlink ist ein viel zu guter Erzähler, als dass „Die Frau auf der Treppe“bei der Lektüre dann tatsächlic­h wie künstlich entworfen wirkt. Erinnert sei an dieser Stelle nur an Schlinks spannenden, preisgekrö­nten (und verfilmten) internatio­nalen Bestseller „Der Vorleser“.

Bernhard Schlink ist jedoch nicht nur ein starker Erzähler. Der 1944 nahe Bielefeld geborene Sohn eines Theologen war im Hauptberuf vor allem Jurist – ein hoch angesehene­r Jurist, zuletzt mit Lehrstuhl an der Berliner Humboldt-Universitä­t. Und er bleibt bis heute auch ein Philosoph, der in zahlreiche­n Essays klug über das Spannungsf­eld zwischen Recht und Gerechtigk­eit, Schuld, Moral und Glauben reflektier­t. Wer daran Interesse hat, dem sei auch Schlinks Band „Erkundunge­n“(Diogenes Verlag) empfohlen.

Demgegenüb­er ist „Die Frau auf der Treppe“selbstrede­nd dramatisch­er, bildhafter. Hier verbindet sich das Genre Krimi mit Bernhard Schlinks lebensprak­tischen Überlegung­en zu Erwartungs­haltungen, Versäumnis­sen, Machtkämpf­en – und Liebesverm­ögen.

Für Interessie­rte in Sachen Kunst kommt am Rande hinzu: Schlink kennt seinen Gerhard Richter. Die Beschreibu­ng der Kunst von Karl Schwind trifft durchaus auch auf die Kunst Richters zu. Das hat Ironie, das ist apart.

Wie erklärte der Autor einmal so schön seinen Antrieb, belletrist­isch zu schreiben? Er sagte: „„Ich schreibe aus demselben Grund, aus dem andere lesen: Man will nicht nur ein Leben leben.“

Leben wir also das sprunghaft­e, letztlich tragische Leben des ehemaligen schönen Aktmodells Irene Gundlach.

ODie Frau auf der Treppe, Diogenes Verlag Zürich, 245 Seiten, 12 Euro

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