Manchmal trügt der erste Blick
Kunst Japan ist ein fernes Land, doch finden viele seiner Künstler international Beachtung. Eine Münchner Ausstellung zeigt aktuelle Arbeiten – darunter Werke aus besonderem Material
Trockenes Gras säumt einen Weg ins Nirgendwo. Mehrere Büschel haben Feuer gefangen, und es dürfte nicht mehr lange dauern, bis der graublaue Himmel von den Flammen erhellt wird. Ein Gemälde? Die Halme wirken wie aufgeklebt, die Funken könnten pastos mit Ölfarbe aufgetupft sein. Doch was sich hier ausbreitet, ist eine ziemlich imposante Fotografie.
Man fragt sich natürlich sofort, durch welche digitalen Mühlen dieses Lichtbild gedreht wurde. Aber Fehlanzeige. Die Japanerin Rinko Kawauchi macht das, was gute Fotografen tun: Sie wartet den richtigen Moment ab. Dann verwandelt sich ein Straßentunnel in einen diamantengeschmückten Trichter, und ein sanfter schneebedeckter Hügel wird zur Glaskuppel. Und das fügt sich fabelhaft in die Umgebung dieser Ausstellung, denn Kawauchis Arbeiten begegnen Glasobjekten. Sie gehören zum Kernprogramm der Münchner Alexander-TutsekStiftung, die das Haus der Kunst nach dem Rückzug der Schörghuber-Gruppe mit rund einer halben Million Euro jährlich unterstützt.
Die Stiftung hat ihren Sitz in der des 1933 verstorbenen Bildhauers Georg Albertshofer an der Schwabinger Karl-Theodor-Straße. Die mag für Ausstellungsgänger nicht direkt auf dem Weg liegen, aber das hat auch wieder Vorteile. Denn man kann sich in Ruhe auf die Objekte konzentrieren, die in der lichten Atmosphäre des ehemaligen Ateliers gut zur Geltung kommen. Sowieso behagt das eher private Ambiente gerade der Glaskunst, die es in großen Museumssälen oft schwer hat. Besonders, wenn sie ohne oder mit wenig Farbe daherkommt.
Yuko Fujitsukas schmales Meditations-Haus aus formgeschmolzenem Glas ist so ein schlichtes, fast unauffälliges Beispiel, das einmal wie ein präzise geschliffener Eisblock, dann wie eine Arbeit aus massiven Kunststoffplatten anmutet. Der Clou? Es existiert nur ein einziges Fensterchen, das den Blick auf winzige Schiffe freigibt. Ob und auf welchem Seelenfluss sie dahingondeln, darf jeder mit sich selbst ausmachen.
Hier ist eben nicht alles glasklar. Das muss man sich vor den Werken ausschließlich japanischer Künstler schnell eingestehen. Masahiro Sasaki etwa verkettet wirbelartige Elemente zu bizarren, kaum fassbaren Formationen, die so fragil wirken, als würden sie im nächsten Moment in sich zusammenfallen („Tensei“). Und mehr noch gaukelt Yoshiaki Kojiros Arbeit „Be“ein weiches Stück Styropor, vielleicht auch eine dicke Matratze vor – und ist doch ein schwerer, harter Glasblock.
Genauso spielt Masayo Odahashi mit den klassischen Eigenschaften des Materials. Ihre in sich gekehrten Püppchen besitzen Terrakotta-artige Köpfe, Arme und Beine – die kleinen Risse an der Oberfläche tun ein Übriges. Nur das durchscheiVilla nende Kleid verrät ganz offen, dass hier Glas zum Einsatz kommt.
Diese Spannung zwischen transparenten und opaken Partien findet sich in den Landschaften Rinko Kawauchis wieder. Die 45-Jährige hat sich in ihrer Heimat Japan längst einen Namen gemacht, in Europa wird sie trotz Ausstellungen in Paris, London, Wien und übrigens auch 2010 im Kunstverein Augsburg noch als Geheimtipp gehandelt.
Doch das dürfte nicht lange so bleiben, zumal die Fotokünstlerin über scheinbar einfache Sujets einen ganzen Kosmos antippt oder auf tief gehende, oft genug symbiotische Beziehungen anspielt. Das eingangs beschriebene Feuer, das in Kawauchis Serie „Ametsuchi“immer wieder auftaucht, rührt übrigens von der in Japan traditionellen Brandrodung her. Die kann man so oder so sehen. O Ausstellung „Lebenswelt – Life World“ist bis zum 20. Oktober in der Tutsek Stiftung in München zu sehen (Karl Theodor Straße 27). Öffnungs zeiten: Dienstag bis Freitag 14 bis 18 Uhr, feiertags geschlossen. Führungen gibt es am 3. August, 7. September und 5. Ok tober jeweils ab 16 Uhr.