Stil-Fragen mitten im Krieg
Es ist nicht nur eine kulturelle Revolution, die sich mitten im Krieg, während dem Maler wie Franz Marc und Dichter wie Georg Trakl in Reihe sterben, vollzieht – es findet praktisch eine Umwälzung nach der anderen statt. Der wild um Hugo Ball ausufernde Dadaismus von der Schweiz aus, der absolute Nullpunkt von Malewitschs gemaltem schwarzen Quadrat mit dem Suprematismus von Russland aus, ein Pissoir als das erste Readymade des Franzosen Marcel Duchamp in den USA… – und von den Niederlanden aus findet an diesem 1. Oktober 1917 eine neue Bewegung ein öffentliches Sprachrohr. Es erscheint die erste Ausgabe des Magazins „De Stijl“(Titelseite siehe rechts).
Die ebenso benannte Künstlergruppe um Piet Mondrian praktiziert wiederum einen eigenen -ismus, nämlich den Neoplastizismus. Es gibt keinen Gegenstand der Malerei mehr, selbst das Abstrakte ist streng formalisiert: nur noch rechte Winkel und nur noch Primärfarben. Wie man auf so was kommt? Mondrain hatte von 1912–1914 in Paris gelebt und war dabei dem Kubismus begegnet, vertreten von Pablo Picasso und Georges Braque. Nach seiner Rückkehr beschäftigte er sich mit mathematischen Theorien des niederländischen Philosophen M. H. J. Schoenemaekers. Und schon sah Maler Mondrian in den vertikalen und horizontalen Linien Entsprechungen mit der Natur, ohne die üblichen Abbildungen von ihr zu liefern. Die Vertikale entspricht demnach den Sonnenstrahlen, die Horizontale der Erdbewegung um die Sonne, auch die bevorzugt benutzten Grundfarben Gelb, Blau und Rot symbolisieren das Licht der Sonne, den unendlichen Raum und „die Einheit aller natürlichen Gegensätze“…
Und genau zur selben Zeit wagen die Künstler des bereits arrivierteren Expressionismus das glatte Gegenteil. Auf den Bildern wie etwa von George Grosz und Ernst Ludwig Kirchner sind gerade im Konkretesten der Tod, das Chaos und der Wahn des Krieges zu sehen.