Deutschland, Deutschland
Ein ganz anderes Stimmungsbild
Hurra, ein wildes Buch! Leider wird es nicht ganz der Genialität seines Titels gerecht: „Über Deutschland, über alles“. Aber es kommt inhaltlich zur rechten Zeit und stößt formal in eine schmerzliche Lücke. Denn was etwa in den USA ein lebhaftes Genre ist, in dem sich auch prominente Autoren wie John Updike betätigen, liegt hierzulande ohne Puls darnieder: die freie Mischung aus Reportage und Essay, Privatem und Poesie – wie sie nun Pascal Richmann bietet. Kein Promi, vielmehr ein Debütant, 30 Jahre alt, studierter Sozialund Kulturanthropologe, zudem Absolvent der Autorenschmiede Hildesheim. In diesem frei mäandernden
Werk bereist er Deutschland, hauptsächlich den
Osten, aber auch die Außenstelle Mallorca. Er denkt über Heine und die nationalen Wurzeln des Wartburgfests 1817 nach, läuft mit bei einer Rechten-Kundgebung in Dresden, schwelgt in Fußball-Erinnerungen und schildert Bilder wie jenes, als bei einem Konzert in der halb leeren Dortmunder Westfalenhalle einige Fans von Lena Meyer-Landrut eine Deutschlandfahne auspacken und skandieren: „Wer Lena nicht liebt, soll Deutschland verlassen.“Schließlich endet der (teils in Fußnoten ausufernde) Reigen in Oggersheim, wo hinter gut bewachten Türen der Leichnam Kohls liegt. Kühn und klug, etwas überdreht und nicht ganz gelungen – aber schön, dass es dieses Buch gibt.
Hanser, 328 S., 20 ¤