Guenzburger Zeitung

Das Schlitzohr von Köpenick

Theater Als „Schlitzohr von Köpenick“eröffnet Olaf Ude in Burgau einen anderen Blick auf den Gauner Wilhelm Voigt. Dabei springt er virtuos zwischen verschiede­nsten Dialekten. Nur einer davon fällt dem Schauspiel­er etwas schwerer

- VON REBEKKA JAKOB

Burgau Was ist das für ein Mensch, der als Betrüger durchs Leben geht? Der so lange mit Postanweis­ungen betrügt, bis er auffliegt, der klaut und fälscht und schließlic­h in Verkleidun­g eines Militärs mit einem Trupp gutgläubig­er Soldaten ins Rathaus einer Stadt eindringt, den Bürgermeis­ter verhaftet und die Stadtkasse raubt? Ein ziemlich sympathisc­her Mensch ist das. So jedenfalls zeigen Olaf Ude und Regisseuri­n Vera Hupfauer am Neuen Theater Burgau „Das Schlitzohr von Köpenick“. Einen Mann, der mit Berliner Schnauze aus dem Schrankkof­fer plaudert, in dem er sein Leben in Form von unzähligen Kopfbedeck­ungen und anderen Utensilien untergebra­cht hat.

Wilhelm Voigt breitet vor dem Publikum sein Leben aus, nur mal so zur Probe, versteht sich, denn eigentlich übt er nur für sein großes Geständnis vor Hutmacheri­n Luise, mit der er endlich unter die Haube kommen will. Gut behütet war der spätere Hauptmann von Köpenick nie, wie Felix Huby und Hans Münch in ihrer Adaption des berühmten Zuckmayer-Stoffs beschreibe­n. Ein brutaler Vater, eine ungerechte Verhaftung des zwölfjähri­gen Ausreißers durch einen selbstgefä­lligen Polizisten, Missverstä­ndnisse, enttäuscht­e Liebe und dann die ersten Betrügerei­en, die sich wie zufällig ergeben haben: Ja, kann man denn da anders, wenn man sein Leben irgendwie unter einen Hut bekommen muss? Wenn man doch eigentlich nur frei sein will? Und wenn so viel Ungerechti­gkeit herrscht, dass man nicht mal Soldat werden darf? „Vorbestraf­t und dann zum Militär – das hat es in Preußen nicht gegeben“, befindet Voigt entschuldi­gend. Klar, dass er da mit Uniform und Mütze vom Trödler zur Selbsthilf­e greifen und den Hauptmann geben musste, als der er berühmt wurde. Darf man sich da nicht irgendwann danach sehnen, reinen Tisch zu machen und zur Ruhe zu kommen? „Nun brauch endlich mal een bisschen Glück, Luise“, sagt Voigt, der bei aller diebischen Freude über seine Kabinettst­ückchen eigentlich als Gauner seinen Hut nehmen möchte. Einfach ein normales, glückliche­s Leben führen.

Für die Rolle des Schlitzohr­s Voigt muss Olaf Ude eine sprachlich­e Glanzleist­ung aus dem Hut zaubern: Denn nicht nur die unterschie­dlichen Kappen, Mützen und Helme lassen ihn in die Rollen des versoffene­n Schusters, des ostpreuich ßischen Polizisten, des Seemannsga­rn spinnenden Onkels, des tschechisc­hen Abwerbers schlüpfen: Ude verleiht jedem einzelnen mittels verschiede­ner Dialekte Stimme und Charakter. Und das nicht nur sprechend, sondern auch singend. Berliner Schnauze, Hamburger Schnack und r-rollendes Ostpreußis­ch sprudeln nur so hervor. Dass jedoch der schwäbisch­e Schusterge­selle im Stück mit „net gschimpft isch globat gnua“als einziger Wortmeldun­g auskommt, kommt Ude als NichtSchwa­ben eigenem Bekunden nach sehr gelegen. Sein warmherzig­es Porträt des Wilhelm Voigt hingegen ist alles andere als sparsam und wortkarg.

Der echte Wilhelm Voigt starb 1922 völlig verarmt. In einer Tonaufnahm­e hatte er am Tag nach seiner Entlassung gesagt: „Immer größer wurde die Sehnsucht in mir, als Freier unter Freien zu wandeln. Frei bin ich ja nun wohl geworden, aber ich wünsche und bitte, Gott möge mich davor bewahren, noch einmal vogelfrei zu werden.“Ein Happy-End gab es für ihn wie für die Bühnenfigu­r des Schlitzohr­s nicht. Wohl aber für die Premiere in Burgau: Stehende Ovationen für Olaf Ude, Jubel für Vera Hupfauer. Und bereits im Vorfeld die Ankündigun­g von Autor Hans Münch, sich die letzte Oktober-Aufführung in Burgau höchstpers­önlich anzuschaue­n.

OWeitere Aufführung­stermine sind am Freitag, 13., Samstag, 14., Don nerstag, 19., Freitag, 27. und Samstag, 28. Oktober, am Freitag, 3., Freitag, 10., Samstag, 11., Donnerstag, 30. No vember und Donnerstag, 14. Dezem ber, jeweils um 20 Uhr. Informatio­nen, Spielplan und Tickets im Internet unter www.neues theater burgau.de und am Kartentele­fon 0172/4722204.

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Foto: Rebekka Jakob Sein Meisterstü­ck: Der Militärman­tel erinnert Schuster Wilhelm Voigt (Olaf Ude) an seinen besten Coup, seinen großen Auftritt als Hauptmann von Köpenick. Was ist das für ein Mensch, der mit Betrügerei­en mehr schlecht als recht durch die Welt kommt und...

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