Die Scharmützel sind vorbei
Im Kanzleramt regiert noch die Große Koalition, ein paar Schritte weiter wird Jamaika auf den Weg gebracht. Nach Runde eins ziehen dann alle ein recht positives Fazit
Berlin Ein paar Schritte nur sind es vom Kanzleramt, dem Zentrum der Macht, zur noblen Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft direkt gegenüber dem Reichstag, einst das Palais des Reichstagspräsidenten, dem Ort der vertraulichen Hintergrundgespräche. An diesem Mittwoch jedoch liegen Welten zwischen den beiden markanten Gebäuden im Berliner Regierungsviertel. Im Kanzleramt trifft sich noch einmal das Alte, Vertraute und auch Bewährte und handelt, als sei nichts geschehen. Und doch zeichnet sich zeitgleich in der Parlamentarischen Gesellschaft schon das Neue, Unbekannte und auch Ungewisse am Horizont ab.
In Berlin beginnt an diesem sonnigen Oktobertag eine neue Zeit, eine Zwischenzeit, in der nichts mehr gewiss und vieles offen ist. Im Kanzleramt kommen am Vormittag die Ministerinnen und Minister der Großen Koalition zur 165. Sitzung des Bundeskabinetts in dieser Legislaturperiode zusammen, die Ressortchefs von CDU, CSU und SPD beschließen ohne große Diskussion die Fortsetzung zahlreicher Auslandseinsätze der Bundeswehr, unter anderem in Afghanistan und in Mali, im Südsudan und im Irak. Wie die neue Regierung aussehen wird, die nach den internen Vorstellungen bis Weihnachten gebildet werden soll, entscheidet sich derweil ab mittags ein paar Meter weiter in der Parlamentarischen Gesellschaft, wo die Delegationen von CDU und CSU, angeführt von den beiden Parteichefs Angela Merkel und Horst Seehofer, erst mit den Vertretern der FDP und danach mit einer Kommission der Grünen beraten.
Die Anspannung ist unübersehbar, mit der bunten Jamaika-Koalition wird Neuland betreten. Und doch gibt es ein Fundament, das trägt, kennen sich die Mitglieder der Delegationen doch seit langem und wissen ziemlich genau, wie ihre Gegenüber ticken, wo Möglichkeiten zum Kompromiss liegen und wo rote Linien überschritten werden.
In Berlin gilt es als ausgemacht, dass sich die möglichen Partner seit der Bundestagswahl zu zahllosen informellen Gesprächen getroffen oder lange Telefongespräche geführt haben, Sondierungen vor den Sondierungen, um auszuloten, was geht und was nicht. Entsprechend harmonisch verlaufen die beiden Auftaktgespräche: Zumindest für den Anfang wird das Verbindende gesucht, die Konflikte, das wissen alle, kommen ohnehin von allein. Die rhetorischen Scharmützel der letzten Tage sind Vergangenheit, sie sind Teil der Verhandlungsstrategie, nur dazu da, sich in der Öffentlichkeit möglichst teuer zu verkaufen und der Basis zu zeigen, dass man keinesfalls zu schnell einknickt. Doch die Sondierer sind Polit-Profis genug, sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Und allen ist bewusst: Die Verhandlungen müssen zu einem Erfolg geführt werden. Für ein Scheitern und Neuwahlen will niemand die Verantwortung übernehmen.
Für Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth von den Grünen steht sogar noch viel mehr auf dem Spiel: „Gerade in Zeiten, da wieder Abgeordnete im Bundestag das Wort ergreifen werden, die andere ,jagen und entsorgen‘ wollen, braucht es eine Regierung, die in Anmutung und Erzählung eine demokratische Antwort auf diesen Rechtsruck gibt“, sagt sie gegenüber unserer Zeitung. Das heiße nicht, dem rechtsnationalen Diskurs hinterherzulaufen, sondern Lösungen für die Probleme unserer Zeit zu bieten, so die frühere Grünen-Chefin.
Der Willen, die Verhandlungen zu einem Erfolg zu führen, prägt denn auch die Gespräche der Union zuerst mit der FDP und danach mit den Grünen. Zwischen Union und Liberalen sind die Schnittmengen ohnehin groß, die drei Generalsekretäre Peter Tauber (CDU), Andreas Scheuer (CSU) und Nicola Beer (FDP) sprechen hinterher unisono von konstruktiven und kreativen Gesprächen. Deutlich länger dauert die Runde mit den Grünen, in der intensiv und kontrovers debattiert wird. Gleichwohl heißt es in der Union wie bei den Grünen, dass man es ernst meine und gemeinsam nach Positionen ringe, die vier Jahre tragen. Dies sei ein starkes Signal, wenn es darum geht, Trennendes in unserer Gesellschaft zu überwinden, so Tauber, und Grünen-Generalsekretär Michael Kellner spricht davon, dass man Lösungen suche, wie Zusammenhalt in der Gesellschaft organisiert werden kann.
Bei so viel Einigkeit will auch CSU-Generalsekretär Scheuer nicht im Abseits stehen. Wahlkampf beendet, Atmosphäre okay, sagt er, man habe sich intensiv abgetastet. Auch Parteichef Horst Seehofer ist zufrieden. Für den ersten Tag war es nicht schlecht …