Wenn der Zeitgeist auf Teilzeit schwört
Nach dem Willen der IG Metall sollen Beschäftigte ihr Arbeitspensum selbst auf bis zu 28 Stunden verkürzen können. Dafür müssten andere büßen
Es gibt eine interessante These: Künftig entscheidet nicht mehr so sehr die Höhe des Lohns, ob Beschäftigte einen Job annehmen, sondern es werden weiche Faktoren sein. Personal-Experten berichten, junge Menschen stellten vermehrt Fragen wie: Fallen Überstunden an? Wie lassen sich Familie und Beruf vereinen? Kann ich die Arbeitszeit später reduzieren? Exzellent ausgebildete Nachwuchskräfte achten auf die WorkLife-Balance, legen also Wert darauf, dass Leben und Familie vor lauter Arbeit nicht zu kurz kommen. Sie drehen den Spieß um: Der Arbeitgeber muss ihnen sagen, warum sie in seinem Betrieb arbeiten sollen. Schon wird diese Generation für ihre Einstellung gefeiert.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Wer erfolgreich Maschinenbau oder Informatik studiert hat, gehört zu einer privilegierten Gruppe. Denn die Nachfrage nach derartigen Kräften ist weitaus größer als das Angebot. Nur so erklärt sich, dass junge Menschen den Spieß umdrehen können, ohne zuvor im Arbeitsleben etwas geleistet zu haben.
Den neuen Zeitgeist macht sich auch IG-Metall-Chef Jörg Hofmann zunutze. Er will vermeiden, dass die Gewerkschaft langweilig und unattraktiv für junge Menschen wird, denen Lohnerhöhungen alleine nicht reichen. Daher wurde eine Vision geboren, die einer Umkehrung der Verhältnisse gleichkommt. Denn in dieser Tarifrunde will die IG Metall ernsthaft erreichen, dass Beschäftigte im Betrieb durchsetzen können, dass sie ihre wöchentliche Arbeitszeit für bis zu zwei Jahre von 35 auf 28 Stunden absenken können. Und das im Bewusstsein, danach einen VollzeitJob garantiert zu bekommen. Wenn Mitarbeiter Angehörige pflegen oder sich um Kinder kümmern, bekommen sie noch einen Zuschuss des Arbeitgebers. Damit versucht die IG Metall zumindest auf Branchenebene, eine weitreichende Teilzeitlösung zu schaffen, wie sie politisch in der Großen Koalition nicht möglich war.
Doch das Wellness-Programm für Arbeitnehmer ist zu kurz gedacht. Denn in Zeiten des Facharbeitermangels würde eine solche Wohlfühl-Teilzeit dazu führen, dass andere Beschäftigte durch Mehrarbeit dafür büßen müssen, wenn sich Kollegen um ihr Privatleben kümmern. Die von ihnen geleisteten Überstunden reichen aber nicht aus, um in Zeiten voller Auftragsbücher Bestellungen pünktlich auszuliefern. Gerade in kleineren und mittleren Betrieben kann es zu Engpässen kommen, die Umsatz kosten. Also werden die Firmen verstärkt Leiharbeiter einsetzen, von denen sie sich trennen, wenn die Teilzeitler wieder voll arbeiten.
Die IG Metall würde damit ein fragwürdiges Konjunktur-Programm für Leiharbeit auflegen. Unfrieden in der Belegschaft könnte aber auch stiften, dass sich die Arbeitgeber den Einstieg in eine solche Komfort-Teilzeit teuer bezahlen lassen. Die IG Metall müsste also Abstriche bei Lohnerhöhungen machen. Ob Beschäftigte, die eine Familie gegründet und sich ein Haus gekauft haben, damit einverstanden sind, darf bezweifelt werden.
Dabei hat eine Befragung der IG Metall ergeben, dass immerhin sieben von zehn Beschäftigten mit ihren Arbeitszeiten zufrieden sind. Daraus lässt sich jedenfalls nicht die Forderung nach der 28-StundenTeilzeit ableiten, zumal es in dem Wirtschaftszweig schon heute ein hohes Maß an flexiblen und auch an den Interessen der Beschäftigten orientierten Arbeitszeitmodellen gibt. Allein bei Bosch sind es über 100. Verglichen mit anderen Branchen ist die Metall- und Elektroindustrie längst ein Wellness-Wirtschaftszweig mit überwiegend guten Löhnen und Arbeitsbedingungen. Deswegen ist sie unter jungen Menschen mit Hochschulabschluss oder Meisterbrief sehr beliebt.
IG-Metall-Chef Hofmann zielt auf junge Leute ab