Das Job-Wunder offenbart, wo es noch Probleme gibt
Leitartikel Am Arbeitsmarkt läuft es auch deshalb so gut, weil Deutschland rechtzeitig vor den Krisenzeiten vieles richtig gemacht hat. Doch einige Potenziale sind ungenutzt
Fast möchte man jubilieren, so positiv sind die Berichte vom Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote sinkt und sinkt und sinkt. In Bayern fiel sie gar unter die DreiProzent-Marke. Die Zahl der Beschäftigten steigt und steigt und steigt. Genauso die Zahl der offenen Stellen. Deutschland, das JobWunder-Land. Und wer sich acht Jahre zurückerinnert, den mag die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich wundern.
Damals ließ die weltweite Wirtschaftskrise alle im Schock erstarren. Schreckensszenarien wie massenhafte Entlassungen verdüsterten die Stimmung. Deutschland steckte in einer tiefen Rezession. Und der Arbeitsmarkt? Er gab nach. Stellen wurden gestrichen, Menschen entlassen. Im Vergleich zu anderen Ländern waren es aber verhältnismäßig wenige. Und nur ein Jahr später konnte die Bundesagentur für Arbeit wieder gute Zahlen verkünden. Mit einem Wunder hat die gute Lage aber wenig zu tun, sie hatte sich angebahnt.
Deutschland ist deshalb glimpflich durch die Krise gekommen, weil es währenddessen und davor viel richtig gemacht hat. Da wären zum einen die umstrittenen HartzReformen. Natürlich erhöhten sie den Druck auf Sozialhilfe-Empfänger. Aber diese Reformen machten auch die Arbeitsvermittlung effizienter. Sie führten dazu, dass Deutschland, anders als Italien oder Griechenland, den Arbeitsmarkt nicht in der Rezession reformieren musste, sondern die nötigen Einschnitte schon vollzogen hatte.
Während der Konjunkturflaute reagierten viele Unternehmen ebenfalls richtig. Statt Fachkräfte zu entlassen, senkten Firmen die Stundenzahl der Beschäftigten. Entweder über geförderte Kurzarbeit oder flexiblere Arbeitszeitmodelle.
Die Folge: Der deutsche Arbeitsmarkt stürzte nicht so tief ab. Und deshalb verlief der Aufstieg zum jetzigen Beschäftigungswunder schneller – obwohl die Zeiten für eine Exportwirtschaft wie Deutschland nicht gerade einfach sind mit Trump, der den Protektionismus predigt, und Großbritannien, das die EU verlässt.
Doch es wäre falsch, sich auf diesen Erfolgen auszuruhen. Zumal die gute Lage auch die Chance bietet, einige Probleme anzugehen. So versucht etwa der neue Chef der Bundesagentur für Arbeit, gezielt Langzeitarbeitslose zu fördern und zu qualifizieren. Sie sollen besser betreut und sinnvoller weitergebildet werden.
Auch das Ansehen älterer Beschäftigter steigt. Arbeitete vor zehn Jahren nur rund ein Drittel der über 60-Jährigen, so waren es 2016 schon fast 60 Prozent. Lange galten Ältere als nicht mehr so belastbar für die heutigen Anforderungen. Inzwischen aber schätzen Unternehmen wieder ihre Expertise. Ein weiteres Thema sind die Frauen, die es auf dem Arbeitsmarkt oft noch schwer haben. In ihrem Bemühen, Familie und Beruf zu vereinbaren, stecken sie oft fest in Teilzeit- oder Mini-Jobs. Gerade für sie und für die Älteren gibt es noch Potenzial, wenn ihnen auch die Chance geboten wird. Doch selbst wenn sie mehr arbeiten würden, könnten nicht alle offenen Stellen besetzt werden. Um die Lücken zu schließen, wird die Wirtschaft ohne eine geregelte Zuwanderung von Fachkräften ebenso wenig auskommen wie ohne die Ausbildung der Flüchtlinge, die schon hier sind.
Der falsche Weg wäre es, Stellen unbesetzt und dafür Beschäftigte mehr arbeiten zu lassen. Schon jetzt schieben die Deutschen zwei Milliarden Überstunden vor sich her, schätzen die Gewerkschaften. Doch wer auf Dauer länger arbeiten muss als vereinbart, wird unzufrieden. Ein gutes Betriebsklima jedoch ist in Zeiten, in denen Fachkräfte Mangelware sind, die beste Werbung. Denn jeder wird gerne dort arbeiten, wo er sich wohlfühlt.
Ältere Arbeitnehmer sind wieder stärker gefragt