Guenzburger Zeitung

Als Anfängerin an den Schafkopf Stammtisch

Serie Unsere Volontärin spielt nie Karten. Mit null Erfahrung wagt sie sich ausgerechn­et an das bayerischs­te aller Spiele

- VON STEPHANIE LORENZ

Kötz Fritz Müller schielt auf die acht Karten in seiner linken Hand. Mit der rechten zieht er eine. Seine Faust saust nach unten auf den hellen Holztisch. Es knallt. Ich zucke zusammen. Der Gras-König fliegt in die Tischmitte. Auf die Gras-Neun. „Wenn man die Farbe hat, muss man sie anspielen“, sagt er, ohne mich anzusehen. Ich nicke und versuche, mir alles zu merken. Schließlic­h wird Fritz gleich seinen Platz auf der Holzbank räumen, damit ich gegen seine Freunde spielen kann. Ich. Schafkopf. Ich wusste nicht einmal, dass der Name des Spiels gar nichts mit einem Schaf zu tun hat.

Aber ich bin ja hier, um zu lernen. Fritz Müller hat mich zu seiner wöchentlic­hen Schafkopfr­unde in das Gasthaus Stern nach Kötz eingeladen. Jeden Dienstag trifft er sich mit Reinhard Schwehr, Engelbert Schwegler und Heinz Augustin. Dann spielen sie von 14 bis 17 Uhr, „Punkt 17 Uhr“, betont Fritz. Immer in der gleichen Besetzung. Sie kommen alle aus Kötz, nur der Reinhard nicht, „der isch a Ausländer aus Kissadorf“, sagt Fritz und lacht.

Sie sind nicht die einzigen Kartenspie­ler in der Stube von Wirt Karl Zwerger. Weitere drei Tische sind mit jeweils vier Spielern besetzt. „Es sind aber 17 Leut’. Falls an einem Tisch jemand aufs Klo geht, springt gleich einer ein“, erklärt Fritz. „Manche gehen gar nicht aufs Klo, die verdrucken’s“, fügt er hinzu und lacht. Seit mehr als 40 Jahren wird im Gasthaus Stern gekartelt. „1972, als die Gebietsref­orm war, haben sie hier schon Karten gespielt“, erzählt der Wirt. „Des ist gut für’n Kopf, die brauchen keine Kreuzwortr­ätsel machen.“

Im Gegensatz zu mir. Auch nach zwei Stunden kann ich mit dem Spiel- und Rechentemp­o der vier Herren nicht mithalten. Immerhin verstehe ich schnell, dass die Karten Punkte zählen. Wer mehr als 60 Punkte erreicht, gewinnt. Asse werden als „Sau“bezeichnet und es gibt 14 Trümpfe: die vier Ober und vier Unter sowie die Herzkarten im Sauspiel, dem gängigen Rufspiel. Ein Spieler ruft zum Beispiel „SchellenSa­u“, und der Mitspieler, der die Karte auf der Hand hat, wird für Runde zu seinem Partner. Oder zum „Freund“, wie es Fritz nennt. Doch all das erworbene Wissen hilft nicht viel. Während des Spiels mitzählen, wie viele Trümpfe schon gespielt wurden? Wissen, welche Karte ich wann spiele? Oder wer wem wie viel Geld geben muss? Unmöglich. Immer wieder erklärt mir Fritz: „A Spiel koscht a Fünferle, a Schneider koscht zehn Cent, Schwarz koscht 15 Cent und a Solo 20 Cent.“Um mehr Geld werde nicht gespielt, sie seien arme Rentner, witzeln Fritz und Heinz. Ein Schneider ist alles unter 30 Punkten, Schwarz heißt, man sticht gar nicht, lasse ich mir sagen.

Doch genug zugeschaut. Fritz steht auf und wir tauschen Plätze: Ich auf die Bank, er auf den Stuhl daneben. Ich mische die Karten, Reinhard hebt ab, ich teile aus: zwei Mal vier Karten an jeden. „Wennd’ fünf ausgibst, musst a Maß Bier zahlen“, sagt Fritz und die anderen lachen. Wie einen Fächer halte ich meine acht Karten in der linken Hand. Fritz schaut mir über die Schulter und raunt: „Sag weiter“. „Weiter“, sage ich. „Weiter“, sagt Reinhard. „Weiter“, sagt Engelbert. „Weiter“, sagt Heinz. Na toll, guter Start. Keiner will spielen. Wir geben alle fünf Cent in die Mitte. Die kriegen die Sieger der nächsten Runde.

Zweiter Versuch, die Karten werden neu gemischt. Fritz schaut mir über die Schulter in die Karten. Andiese scheinend habe ich gute. Er will, dass ich ein Herz-Solo spiele. Ich schmeiße immer die Karte in die Mitte, auf die er deutet. Warum ich welche Karte schmeiße, verstehe ich nicht. Macht aber nichts: Ich gewinne. Das merke ich allerdings erst, als mir die anderen ihre Münzen rüberschie­ben. Ich haue auf den Tisch: „Jawohl!“„Die können wir einstellen“, sagt Fritz und lacht.

Nächste Runde. Engelberts Hand donnert auf die Tischplatt­e und die Karte fliegt in die Mitte. „Esse oder halt die Fresse“, sagt er. Dann geht es Schlag auf Schlag. Die Karten fliegen. Pähm, bahm, bumm. „Net dein Alten vergeuden“, schimpft Reinhard Richtung Fritz. Doch sie gewinnen die Runde und klatschen sich ab. „I hen nix ghobt“, entschuldi­gt sich Engelbert bei Heinz. „Ja, i hans gmerkt“, antwortet dieser. Ich hätte es nicht gemerkt.

„Bis jetzt hot koiner a Solo gspielt außer die Frau Lorenz“, sagt Fritz und ich grinse. „Nehmt‘s euch mal a Beispiel.“Engelbert nimmt ihn beim Wort. Er hat fünf Laufende auf der Hand und spielt ein siegreiche­s Solo. 55 Cent kassiert er dafür von jedem. „Uh, des duad weh“, ruft Fritz. „Mich interessie­rt’s net, ob i gwinn oder verlier“, sagt Heinz und zieht ein schwarzes Säckchen aus der Hosentasch­e. Er kippt alle Münzen rein und hält es hoch: „So bringe ich es nächste Woche wieder mit“, erklärt er mir.

Auch die anderen spielen nicht, um reich zu werden. „Des is’ fürs Denken gut“, sagt Fritz. „Und für die Geselligke­it“, ergänzt Engelbert. Und die jungen Leute wollen das nicht? „Die trifft man eher beim Preisschaf­kopfen“, sagt Heinz. Ebenso wie die Frauen. Doch die vier Rentner sagen auch: Immer weniger Jugendlich­e beherrsche­n das Spiel. „Früher hat man halt abends mit den Eltern gespielt“, erinnert sich Reinhard. Oder sobald man in die Wirtschaft laufen konnte. Dafür ist es bei mir zu spät. Wie lange es dauert, bis man schafkopfe­n kann, will ich wissen. „Puh, poh, ohh“, raunt es mir entgegen. Als ob ich gefragt hätte, ob ich morgen den Himalaya besteigen könnte. „Routine“und „langjährig­e Erfahrung“bekomme ich zur Antwort. Reinhard empfiehlt mir Computerpr­ogramme zum Üben. Das mache seine Frau auch. Jeden Tag zwei Stunden.

Draußen schlagen die Glocken des Kirchturms. 17 Uhr. „Oins no“, sagt Fritz und mischt die Karten. Das sagt er noch zwei weitere Male, dann erschrickt er: Schon 17.15 Uhr. „Jetzt isch Feierabend.“Die vier zahlen ihre Getränke und ich verabschie­de mich – schlauer als zuvor. Aber mit dem Gefühl, dass der Himalaya vielleicht doch das realistisc­here Ziel sein könnte. Liebe Leser! In unserer Serie „Ich probier’s mal“suchen unsere Mitarbei ter Herausford­erungen, die sie vorher noch nie gemeistert haben. In regel mäßigen Abständen berichten sie in unse rer Zeitung von ihren Erlebnisse­n. Ha ben Sie eine Anregung, was wir mal unbe dingt versuchen sollen? Dann nichts wie her damit! Melden Sie sich einfach in unserer Redaktion (08221/917 40). Und vielleicht probieren wir’s ja.

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Fotos: Bernhard Weizenegge­r Fritz Müller versucht, unserer Volontärin die Grundkennt­nisse im Schafkopf zu vermitteln. Als sie in der Viererrund­e anschließe­nd an seiner Stelle spielt, muss er ihr trotzdem jedes Mal sagen, welche Karte zu spielen ist.
 ??  ?? Engelbert Schwegler kommt jeden Dienstag zum Schafkopfe­n in das Gasthaus Stern in Kötz. Er schätzt vor allem die Unterhaltu­ng in geselliger Runde.
Engelbert Schwegler kommt jeden Dienstag zum Schafkopfe­n in das Gasthaus Stern in Kötz. Er schätzt vor allem die Unterhaltu­ng in geselliger Runde.
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Ihre Münzen sammeln die Kartenspie­ler in kleinen Plastiksch­älchen.

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