Ein weltberühmter Angeklagter
So einen Prozess hatte man in Berlin-Moabit noch nicht gesehen. Der Andrang war riesig. Journalisten aus aller Welt zog es im Jahr 1907 in die preußische Stadt. Sie wollten hören, wie ein schlichter Schuhmacher den preußischen Militarismus entlarvt und lächerlich gemacht hat.
Dass Wilhelm Voigt keine politischen Absichten hatte, sondern einfach nur Beute machen wollte, spielte keine Rolle. Es war zu schön, wie der falsche Hauptmann von Köpenick mit Hilfe einer requirierten Truppe das Köpenicker Rathaus besetzt, den Bürgermeister verhaftet und dann mit gut tausend Mark Beute das Weite gesucht hatte. Und keiner der gehorsamen, uniformhörigen Preußen hatte den Auftritt des „Hauptmanns“in Frage gestellt.
Alle Welt amüsierte sich, sogar der Kaiser soll gelacht haben. Das blieb beim Prozess nicht ohne Einfluss. Der mehrfach vorbestrafte Betrüger und Räuber erhielt zwar vier Jahre Haft, durfte aber nach zwei Jahren wieder hinaus in die Freiheit. Wegen seiner Vorstrafen hatte man ihn nach preußischer Sitte immer wieder von einem Ort zum anderen abgeschoben. Jetzt begann sein Leben als Volksheld. Er tingelte als bezahlter Redner durch Deutschland und posierte für Presse und Publikum als jener Hauptmann, der Preußen zur Lachnummer gemacht hat.
Eine Autobiografie schrieb er auch, in der er seinen Motiven einen etwas angenehmeren, politischen Glanz verlieh: Er habe als ständig drangsalierter Vorbestrafter in Köpenick lediglich einen Pass ergattern wollen, um das Land, das ihn nicht mochte, verlassen zu können. Jetzt fand er in Luxemburg eine neue Heimat, wo er es zu einem gewissen Wohlstand brachte. Als die Deutschen 1914 in Luxemburg einmarschierten, wurde der falsche Hauptmann von einem echten Leutnant mal wieder eingesperrt. Wilhelm Voigt war mehr als ein kurzlebiger Medienstar, er war eine Symbolfigur von literarischem Wert. Als Hauptmann von Köpenick wurde er in Gedichtform, in Romanform und in wissenschaftlicher Prosa beschrieben. Er gab erstklassigen Filmstoff her. Heinz Rühmann war ein Wilhelm Voigt, wie er leibte und lebte. Carl Zuckmayer schrieb ein erfolgreiches Theaterstück über den Hauptmann von Köpenick. Der Berliner Stadtteil ehrt seinen Hauptmann, der den bescheidenen Ort weltberühmt machte, bis heute mit einer Statue.