Zu Hause in zwei Ländern
Alois Weimer aus dem Kreis Augsburg war Anfang 20, wollte nur ein wenig reisen. Dann stieg er auf die Fähre nach Helsinki und es geschah etwas, das sein Leben völlig veränderte
Augsburg Wenn Alois Weimer „Heimat“sagt, klingt es ein wenig ungewohnt. Mit einem harten H am Anfang, die erste Silbe stark betont. Ein wenig Finnisch eben. Der 41-Jährige, ursprünglich aus Schwabegg im Landkreis Augsburg, lebt schon lange in Finnland, im April 2017 sind es 20 Jahre geworden. Dabei hatte er gar nicht mit dem Gedanken gespielt, wegzugehen. „Nach dem Zivildienst bin ich mit einem Freund per Interrail-Ticket durch Norwegen und Schweden gereist.“Mit kleinem Gepäck, ohne konkretes Ziel.
Doch dann kam die Fähre nach Helsinki. Die Fähre, auf der er sich stundenlang mit seiner künftigen Ehefrau unterhielt. Mirka, die die Reisenden bei sich wohnen ließ und mit der er heute vier Kinder hat, der Älteste 14, der Jüngste fünf.
Etwa 145000 Deutsche sind im Jahr 2016 nach vorläufigen Ergebnissen des Statistischen Bundesamtes ausgewandert. In den vergangenen fünf Jahren schwankte die Zahl zwischen 138000 und 149000 Auswanderern. Die Mehrheit verlässt Deutschland für die Nachbarländer Schweiz und Österreich sowie die USA. Aber nach Finnland, ins waldreichste Land Europas, hat es nach der noch aktuellen Statistik von 2015 nur 281 Deutsche verschlagen.
Alois Weimer lebt in Tampere im Südwesten, mit knapp 230 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Finnlands. Viel Industrie gibt es dort und rundherum die typisch finnische Natur, viel Wald, viele Seen. Weimer hat in Tampere Lehramt studiert, unterrichtet Englisch an einer Gesamtschule. Manchmal schafft er es, genügend Schüler für einen Wahlkurs Deutsch zu begeistern.
Ob Finnland für ihn Heimat geworden ist – bei dieser Frage wird der gebürtige Schwabegger fast etwas philosophisch. „Das Wichtigste – was Heimat zu Heimat werden lässt – sind die Menschen. Natürlich macht meine Familie Finnland für mich zur Heimat. Und wenn ich hier Freundeskreis treffe, im Sommer zum Grillen oder für einen Saunaabend, dann ist das auch Heimat.“Aber eben eine andere, eine zweite vielleicht.
Dieses Wort, „Heimat“, sei für ihn immer noch vor allem mit Bayern verbunden. Mit dem 800-Einwohner-Dorf Schwabegg, in dem er sein ganzes Leben verbrachte, bevor er sich auf die Reise machte. „Kindheitserinnerungen prägen sehr stark mein Heimatgefühl. Gerüche, Eindrücke, all das ruft Erinnerungen hervor.“Eins fällt ihm dabei besonders auf. Weimer tut sich schwer, es zu beschreiben. „Wenn ich nach Schwabegg komme, liegt immer so ein vertrauter Geruch in der Luft.“ Nicht nur im Haus seiner Familie, sondern auch draußen. Überall riecht es seinem Empfinden nach anders als in Finnland. Luftveränderung nennt man das wohl.
Fast jeder zweite Deutsche hat einer Umfrage der Jobsuchmaschine Jobrapido schon einmal ans Auswandern gedacht. Die nächste Frage ist naheliegenderweise: Was hält sie davon ab? Die Mehrheit fürchtet sich davor, Familie, Verwandte und Partner zurücklassen zu müssen. Ebenso schwer ist es wohl, einen geliebten Menschen gehen zu lassen. Weimer weiß das: „In den ersten Jahren hat meine Mutter mich oft darauf angesprochen, ob ich denn meine Heimat jetzt ganz aufgegeben hätte. Aber das stimmt ja nicht. Die Zeit, die ich in Schwabegg erlebt habe, ist nicht einfach weggewischt, ist ja gewesen. Aber das Leben bemeinen wegt sich nun einmal fort.“Einmal im Jahr kommt Weimer mit seiner Familie nach Schwabegg. Über Weihnachten waren sie zuletzt da. „Unsere Familiensprache ist Finnisch. Die Kinder verstehen zwar Deutsch, sind aber sehr schüchtern beim Sprechen. Für meine Mutter ist das nicht leicht.“Aber eine Beziehung bestehe nicht nur aus der Sprache. „Jedes Jahr, wenn wir in Schwabegg sind, erkennen die Kinder Plätze dort wieder. Sie lassen Spielsachen da. Ich denke, dass sie inzwischen ihre eigenen Erinnerungen gesammelt haben. Sie erinnern sich an Dinge, die auf sie warten.“
Trotzdem ist die Heimat der drei Jungs und ihrer Schwester Finnland. Wenn sie ihren Nachnamen Weimer sagen, klingt es ein wenig ungewohnt. Wie bei „Heimat“, die erste Silbe stark betont.