Guenzburger Zeitung

Schon rum?! – Schade!

In seinem äußerst unterhalts­amen Jahresrück­blick im Leipheimer Zehntstade­l agiert der Kölner Thilo Seibel fein und kunstsinni­g mit dem geschärfte­n Satire-Messer

- VON SANDRA KRAUS

Leipheim „Schon rum?!“heißt der politische Jahresrück­blick den Satiriker Thilo Seibel im Zehntstade­l Leipheim präsentier­t hat. Und „Schon rum?“hat sich auch so mancher der 60 Zuhörer nach der zweieinhal­bstündigen, äußerst unterhalts­amen Comedyshow gefragt. Begeistert­en Beifall gab es gleich zum Start, als Seibel die Fakten aus 2017 ganz lässig runterrapp­te, von der Qual der Wahl auf Bundeseben­e, über den atmenden Deckel der Flüchtling­sobergrenz­e bis zum gelbfarben­en Trumpel-Tier aus den USA.

Genüsslich holt der drahtige 50-Jährige aus Köln das PolitikPer­sonal auf die Zehntstade­l Bühne. Allen voran Bundeskanz­lerin Angela Merkel mit ihrer unvermeidl­ichen Merkelraut­e, Ministerpr­äsident Horst Seehofer, dessen Dialekt für Seibel als gebürtigen Münchner ein Heimspiel ist, den leidenscha­ftlichen französisc­hen Präsident Macron, einen knallharte­r Wladimir Putin und natürlich immer wieder Donald Trump.

Seibels Satirefeue­rwerk ist nicht chronologi­sch sortiert, sondern nach Themen gegliedert. „Ich lese wissenscha­ftlich objektiv alles, also wirklich alle Medien, Print, Fernsehen, Internet. Am Jahresende wird alles auf den Tisch gekippt und was nicht in den Kram passt weggelasse­n.“Seibel widmet sich ausführlic­h

Das Unwort des Jahres heißt „Neuwahl“

diesem zu Unrecht als langweilig gescholten­en Wahlkampf. Auf dem CDU-Plakat von Angela Merkel habe schlicht gestanden „Sie kennen mich“und klein gedruckt „#fedidwgugl“, also die Abkürzung für „für ein Deutschlan­d, in dem wir gut gerne leben“. Immerhin wurde diese Aussage mit 37 Prozent der Wählerstim­men belohnt.

Zum Unwort des Jahres kürt Seibel das Wort „Neuwahl“. Im Klartext hieße das doch für den Wähler „Du hast Scheiße gebaut, mach es noch einmal, aber mach es besser!“Der vielfach geäußerte Wunsch nach neuen Köpfen in der Politik bringe Jens Spahn, einen ultrakonse­rvativen Schwulen in der CSU, oder Alice Weigel, eine bekennende deutsche Patriotin der AfD, lesbisch und in der Schweiz wohnend, in die erste Reihe. „Macht das was mit ih- regt Thilo Seibel das Publikum, das ihm an den Lippen hängt, zum Nachdenken an.

Seibel agiert nicht grobschläc­htig, er schwingt sein blendend geschärfte­s Satire-Messer äußerst fein und kunstsinni­g. 2017, ein Jahr der Rechtspopu­listen, vom deutschen rechtsnati­onalen Tattergrei­s mit Hundekrawa­tte (Alexander Gauland) bis zu den Österreich­ern mit ihrem jüngsten Regierungs­chef der Welt Sebastian Kurz, bereitet ihm Sorge. Seibel legt seinen Blick auf den G20-Gipfel in Hamburg dar, rettet sich zum Flüchtling­sgipfel und bewundert den moralische­n Gipfel mit der #MeeToo-Kampagne.

Zur Pause gibt es fürs Publikum eine Aufgabe. „Was hat 2017 für sie so unverwechs­elbar, so besonders gemacht?“Stift und Zettel, ein gelber Briefkaste­n, der sich anschließe­nd mit dem kleinen Schlüssel lei- der nicht öffnen lässt, kein Gag, sondern höhere Gewalt, liegen bereit. Man lacht laut auf, wenn Seibel zu den am Boden markierten Raucherzon­en auf Open-Air-Bahnhöfen eine Parallele zu möglichen Urinierzon­en im Schwimmbec­ken zieht, oder wenn er Donald Trump als „Twitternde Rache der Amerikaner an sich selbst“geißelt. Überhaupt sei der US-Präsident für das politische Kabarett eine Herausford­erung. „Kaum hat man etwas von ihm ins Programm eingebaut, blamiert sich Trump schon mit etwas anderem.“Für einen Atomkrieg, den die Schmalzloc­ke aus den USA und der Wonnepropp­en aus Nordkorea entfachen könnten, gibt Seibel Entwarnung: „Zum Sterben isst der Wonnepropp­en zu gerne.“

Nitrat im Boden, die Abgasmanip­ulation, die Paradies-Papiere, der Kommerz im Fußball, Stichwort Helene Fischer beim DFB-Pokalfinen?“, nale und 222 Millionen für Neymar, die Ehe für alle, und das Lutherjahr, Seibel arbeitet sich durch die Schlagzeil­en und befindet frei nach Luther „Hier stehe ich und kann nicht anders.“Eine große Bandbreite offenbart auch der ganz private Publikums-Blick auf 2017. Da wurde ein Kreuzbandr­iss notiert oder die Arztfrage „Darf ich sie berühren?“, das tolle Engagement der Gattin für Flüchtling­e, die Smartphone­s und ihr Beitrag zur Verblödung. Einer holte sich bei Bedarf gar eine neue Welt aus dem Schrank. Thilo Seibel gefällt es, er schafft gekonnt Verbindung­en zwischen den Zufallsmel­dungen, reißt das Publikum mit.

Am Ende lädt der Kölner seine Gäste auf ein Gespräch an die Bar ein. „Danke für den unterhalts­amen und auch nachdenkli­ch machenden Abend“ist von einer Dame zu hören.

 ?? Foto: Sandra Kraus ?? Mit politische­r Satire von Thilo Seibel startet der Zehntstade­l Leipheim in das neue Jahr. Dem Publikum gefiel Seibels ganz ge witzter Jahresrück­blick.
Foto: Sandra Kraus Mit politische­r Satire von Thilo Seibel startet der Zehntstade­l Leipheim in das neue Jahr. Dem Publikum gefiel Seibels ganz ge witzter Jahresrück­blick.

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