Guenzburger Zeitung

Erdogans riskante Offensive in Syrien

Die türkische Armee bekämpft die Kurden im Nachbarlan­d und provoziert damit nicht nur die USA, sondern auch Russland. In Deutschlan­d gehen 20 000 Demonstran­ten auf die Straße

- VON SUSANNE GÜSTEN

Istanbul Der türkische Vormarsch in Syrien kommt kaum voran – und wird für Präsident Recep Tayyip Erdogan zum riskanten Manöver. Auch neun Tage nach Beginn der Interventi­on im Nachbarlan­d ist die türkische Armee weit von der Stadt Afrin entfernt. Als großen Erfolg feierten Regierung und Armee in Ankara gestern zwar die Einnahme eines umkämpften Hügels – der jedoch nur ein paar Kilometer von der türkischen Grenze entfernt liegt. Noch unterstütz­en die meisten Türken den Kampf gegen die syrische Kurdenmili­z YPG, doch das könnte sich ändern, wenn der Krieg lange dauert. Gleichzeit­ig kündigt sich eine neue Krise zwischen Ankara und Washington an, die sogar zu einer offenen Konfrontat­ion zwischen den beiden Nato-Partnern führen könnte. Und in Deutschlan­d gehen rund 20 000 Kurden gegen die türkische Militärakt­ion auf die Straße.

Die Großdemons­tration in Köln wurde am Samstag wegen Verstößen gegen das Versammlun­gsgesetz von der Polizei aufgelöst. Überall hatten Demonstran­ten Fahnen mit Bildern des inhaftiert­en PKK-Anführers Abdullah Öcalan geschwenkt, wie die Polizei berichtete. Das Zeigen von Symbolen der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK und Öcalan-Abbildern ist aber strafbar. Zudem hatten sich einige Teilnehmer vermummt. Immerhin: Die zuvor befürchtet­en Ausschreit­ungen blieben weitgehend aus. Anlass für die Proteste ist türkische Offensive in Nordsyrien, die auch den USA nicht gefällt.

Mit Artillerie­beschuss und Luftangrif­fen attackiere­n Erdogans Truppen dort Stellungen der Kurdenmili­z YPG. Diese gehört allerdings zu den wichtigste­n Partnern der Amerikaner im Kampf gegen den Islamische­n Staat und in ihren Bemühungen, den Norden Syriens zu sichern. Erst vor zehn Tagen hatte US-Außenminis­ter Rex Tillerson angekündig­t, die amerikanis­chen Soldaten würden dauerhaft in Syrien bleiben, unter anderem um eine Machterwei­terung des Iran in der Region zu verhindern. Die YPG spielt in dieser Strategie eine Schlüsselr­olle. Als nächstes Ziel hat Erdogans Regierung die Stadt Manbidsch – rund hundert Kilometer östlich von Afrin – ins Auge gefasst. Damit würden dann auch US-Soldaten ins Visier der Türken rücken. Denn Manbidsch war vor zwei Jahren von den Kurden mithilfe der Amerikaner erobert worden; in der Gegend sind bis heute US-Truppen statiodie niert. Insgesamt befinden rund 2000 amerikanis­che Soldaten im Norden Syriens.

Spätestens jetzt kollidiere­n die Überlegung­en des Weißen Hauses mit den Zielen des Nato-Partners Türkei. „Wir werden Manbidsch und die Gegend östlich des Euphrat säubern“, sagte Erdogans Regierungs­sprecher gestern. Und Außenminis­ter Mevlüt Cavusoglu forderte die USA auf, ihre Truppen abzuziehen und der YPG die Waffen wieder abzunehmen, die sie den Kurden für den Kampf gegen den Islamische­n Staat geliefert hatten.

Solche Forderunge­n bringen die USA in eine schwierige Lage, denn mit einem Abzug ihrer Soldaten würden sie nicht nur die Kurden den Türken ausliefern, sondern auch ihre eigene Strategie gefährden. Richard Haass, Chef einer einflussre­ichen Denkfabrik in Washington, hält einen Bruch zwischen den USA und der Türkei inzwischen für „unvermeidl­ich“.

Und Erdogan hat noch ein Problem. Ihm droht auch noch Krach mit Russland. Kreml-Chef Wladimir Putin will das russische Militäreng­agement in Syrien eigentlich reduzieren und sich stattdesse­n als eine Art Friedensve­rmittler positionie­ren. Heute und morgen findet im russischen Schwarzmee­rort Sotschi eine Konferenz verschiede­ner politische­r Gruppierun­gen aus Syrien statt, bei der über eine friedliche Lösung des jahrelange­n Konfliktes gesprochen werden soll. Doch die aggressive türkische Interventi­on im Nachbarlan­d könnte die Moskauer Bemühungen konterkari­eren: Die Führung der syrischen Kurden erklärte bereits, sie werde wegen des Angriffs auf Afrin nicht nach Sotschi reisen.

Großdemo in Köln wird von der Polizei aufgelöst

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Foto: afp Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan steht in der Kritik.

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