Wirkmacht einer Frau
Frank Wedekinds Tragödie der Lulu war berüchtigt wegen angeblich sittenwidriger Inhalte. Eine Prachtrolle für jede Schauspielerin. Was macht das Theater Ingolstadt daraus?
Ingolstadt „Lulu“– das Stück hat eine verwirrende Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte. Am Anfang standen zwei abendfüllende Tragödien: „Erdgeist“, uraufgeführt 1898, und als Fortsetzung „Die Büchse der Pandora“, 1904 zum ersten Mal auf der Bühne. Immer wieder nahm Frank Wedekind Textänderungen vor mit Rücksicht auf die von der Zensur reklamierten „sittenwidrigen“Inhalte. 1913 fasste der Autor beide Texte unter dem Titel „Lulu“zusammen. Eine solche Fassung kam erstmals 1950 in Hamburg heraus.
Seit einiger Zeit greifen Bearbeiter dieser fünfaktigen Version, im Untertitel „Monstretragödie“genannt, auf ursprüngliche, damals wirklich anstößige Teile aus der Frühzeit zurück, mit denen Wedekind die brüchige bürgerliche Moral entlarven wollte. Auch Frank Behnke folgt mit seiner zweieinhalbstündigen „Lulu“-Bearbeitung im Großen Haus des Stadttheaters Ingolstadt diesen Spuren des 1864 in Hannover geborenen Provokateurs der Spießergesellschaft.
Der Gastregisseur, im Hauptberuf Schauspieldirektor am Theater Münster, lässt in einem von Sylvia Rieger abstrakt gestalteten, ästhetisch interessanten Bühnenbild spielen. Der sich perspektivisch verengende Raum wirkt tunnelartig, ruht auf einer Schräge, wird eingefasst von Seitenwänden mit hohen Türschlitzen und beleuchtet von Neonröhren. Ganz offensichtlich soll eine Laborsituation suggeriert werden. Was geht da vor, wenn eine junge Frau, selbst Opfer einer übergriffigen Männerwelt, zur Täterin wird und skrupellos ihre Partner reihenweise ins Verderben stürzt? Erst den alten Medizinalrat Dr. Goll, dann den Maler Schwarz, auf den der Zeitungsverleger Dr. Schöning folgt, ehe sie von München nach Paris flieht, um sich dann von dort, in zweifelhafter Gesellschaft, nach London davonzumachen, wo sie vollends herunterkommt und von dem Prostituiertenmörder Jack the Ripper erstochen wird. Bei Behnke wird das vom Ensemble in Schlächtermasken erledigt.
Die Titelrolle spielt Sandra Schreiber, eine hochbegabte junge Schauspielerin. Sie ist kein Vamp, wirkt nicht einmal dann lasziv, wenn sie im Bodysuit herumläuft, der sie nackt wirken lässt. Eine Kindfrau, gewitzt, mit einem frechen Maul, wunderbar gespielt. Weshalb sich allerdings ihretwegen Männer derart aufregen, dass sie einem Herzschlag erliegen oder sich mit dem Rasiermesser entleiben, ist eine der Fragen, die diese Inszenierung aufwirft. Und doch ist sie sehenswert. Auch, weil das Ensemble vorzüglich spielt, sich die Hintergrundmusik (Malte Preuß) durch starken dramatischen Effekt auszeichnet und die Kostümausstattung (Ilka Meier) üppig ist.
Die Premiere wurde mit starkem Beifall bedacht. Allerdings blieben einige Zuschauerplätze nach der Pause leer.