Guenzburger Zeitung

Wie in echt

Bestseller­autor Daniel Kehlmann und sein Stück „Heilig Abend“in München

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München Am Ende des Premierena­bends steht der Verfasser höchstpers­önlich auf der Bühne des Residenzth­eaters und applaudier­t. Bestseller­autor Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt“) hat ein Theaterstü­ck geschriebe­n, das in Echtzeit gespielt wird: „Heilig Abend – Ein Stück für zwei Schauspiel­er und eine Uhr“. Die beiden Figuren sind der Polizist Thomas und die Philosophi­e-Professori­n Judith, eindrucksv­oll verkörpert von Michele Cuciuffo und Sophie von Kessel.

Sie soll einen Anschlag geplant haben, wird von der Polizei bei einer Taxifahrt gestoppt und in einem Verhörraum mit Handschell­en ans Abflussroh­r eines Waschbecke­ns gefesselt. Über der Bühne leuchtet die Digitalanz­eige einer Uhr. Zu Beginn ist es 22.30 Uhr. Um Mitternach­t soll die Bombe explodiere­n. Eine Hommage an den Film „High Noon“, den Kehlmann als perfekt bezeichnet – „und zwar deshalb, weil er in Echtzeit stattfinde­t, weil in ihm die erzählte Zeit und die Zeit, von deren Vergehen erzählt wird, ganz und gar identisch sind“.

90 Minuten liefern sich Polizist und Professori­n ein Wortgefech­t über Gut und Böse, Richtig und Falsch. Zwischendu­rch eskaliert das Ganze in körperlich­er Gewalt. Er boxt ihr in den Bauch, sie schlägt um sich. Die beiden Schauspiel­er geben auf der Bühne alles. Als Cuciuffo während des Stücks ein Telefon samt Steckdose aus der Wand reißt und es energisch zu Boden werfen will, fliegt der Apparat sogar – aus Versehen – in die erste Zuschauerr­eihe. Am Ende gibt es Bravo-Rufe aus dem Publikum, Sophie von Kessel hat Tränen in den Augen.

Regisseur Thomas Birkmeir inszeniert „Heilig Abend“auf einer schlicht gehaltenen Bühne: weiße Decke, weißer Grund, milchige Folien als Wände. Nach anderthalb Stunden ist Schluss. Ein Schuss ertönt, das Licht ist da schon aus. Was passiert ist, erfährt der Zuschauer nicht. Wer recht hat, bleibt offen. „Es darf in so einer Situation, glaube ich, nicht einen eindeutige­n Gewinner oder Verlierer geben“, hatte Kehlmann zur Uraufführu­ng 2017 in Wien gesagt.

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Daniel Kehlmann

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