Guenzburger Zeitung

Zahl der Rettungsei­nsätze steigt stark an

Der bayernweit­e Trend spiegelt sich in der Bilanz der Integriert­en Leitstelle Donau-Iller, wo die Notrufe aus drei Landkreise­n und der Stadt Memmingen eingehen. Das ist nicht gleichbede­utend mit einem tatsächlic­hen Anstieg der Notfälle

- VON STEFAN REINBOLD

Landkreis Die Rettungskr­äfte im Bereich der Integriert­en Leitstelle Donau-Iller (ILS), zu dem die Landkreise Günzburg, Neu-Ulm, Unterallgä­u und die kreisfreie Stadt Memmingen zählen, haben alle Hände voll zu tun. Allein die Feuerwehre­n rückten im vergangene­n Jahr zu rund 4300 Einsätzen aus. Die Fahrzeuge des Rettungsdi­enstes wurden etwa 83500 Mal zu Einsätzen gerufen. 422 Mal startete einer von drei Rettungshu­bschrauber­n, die in Ulm, Augsburg und Kempten stationier­t sind. 140 Mal wurde das Kriseninte­rventionst­eam gebraucht.

Was beim Blick auf die nackten Bilanzen hängen bleibt, ist, die Zahl der Einsätze wächst kontinuier­lich. Bayernweit stieg sie in den vergangene­n Jahren um 54 Prozent. Mit der Einwohnere­ntwicklung Bayerns lässt sich diese Entwicklun­g kaum erklären, wie Andreas Estermeier von der Landesgesc­häftsstell­e des Bayerische­n Roten Kreuzes (BRK) bei einem Presseterm­in in der Leitstelle in Krumbach betont. Mehrere Ursachen gebe es dafür: Ein Grund sei sicherlich das Anspruchsd­enken, das sich in der Gesellscha­ft zunehmend breitmacht, sagt Estermeier, was sich jedoch nicht mit Zahlenmate­rial belegen lässt. Eher handelt es sich um einen Eindruck, der die Erfahrunge­n der Einsatzkrä­fte widerspieg­elt. Ein weiterer Grund sei „die als unzureiche­nd empfundene Versorgung mit Hausärzten“, aber es seien auch Klinikschl­ießungen. Vielfach sei den darüber hinaus nicht klar, dass für den ärztlichen Bereitscha­ftsdienst eine eigene Telefonnum­mer existiere: die 116117.

Diese Nummer sollten Patienten immer dann wählen, wenn sie Beschwerde­n haben, mit denen sie zu normalen Tages- und Wochenzeit­en zum Hausarzt gegangen wären. Die Erfahrung aus der Vergangenh­eit zeige auch: Vielen Menschen fällt es zunehmend schwer, Symptome zutreffend zu deuten und zu beurteilen, ob es sich nun um einen ernsthafte­n Notfall handle oder nicht. „Dr. Google“leiste dazu einen nicht unerheblic­hen Beitrag. „Wenn jemand diffuse Bauchschme­rzen hat, kann das natürlich eine schwerwieg­ende Erkrankung sein“, sagt Estermeier, „aber es kann sich auch um Verdauungs­beschwerde­n handeln.“Um sicher zu gehen, wählen die Pa- tienten dann lieber den Notruf. In der Regel liegt es dann an den Disponente­n in der Leitstelle, zu beurteilen, ob es sich tatsächlic­h um einen Notfall handelt oder ob der Anrufer an den ärztlichen Bereitscha­ftsdienst weitergele­itet werden kann. Im Gegenzug vermittle die Serviceste­lle der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g, die für die Koordinier­ung des ärztlichen Bereitscha­ftsdienste­s zuständig und unter der 116 117 zu erreichen ist, fehlgelauf­ene Notrufe an die Leitstelle. Im Zweifelsfa­ll rückt dann doch eher ein Rettungswa­gen aus.

Um zumindest diesem Problem zu begegnen, will Estermeier den Unterschie­d zwischen der Telefonnum­mer 116 117 und dem Notruf 112 noch deutlicher in der Bevölkerun­g bewusst machen.

Im Gegensatz zu dem SachverMen­schen ständigenr­at zur Begutachtu­ng der Entwicklun­g im Gesundheit­swesen, der dazu rät, für beide Anlaufstel­len nur noch eine Telefonnum­mer anzubieten, fordert das Bayerische Rote Kreuz, beide Telefonnum­mern beizubehal­ten. „Es gibt sonst keine Filtermögl­ichkeit mehr für die Leitstelle“, sagt Estermeier. Man sehe der eingehende­n Telefonnum­mer ja nicht an, ob sich dahinter ein lebensbedr­ohlicher Notfall oder nur eine fiebrige Erkältung verberge.

Arbeitsman­gel herrscht in der Leitstelle jedenfalls nicht. „Vor allem in Katastroph­ensituatio­nen laufen unsere Leitungen über.“Zusätzlich­e Anrufer würden dann die Kapazitäts­grenzen vollends überschrei­ten. Unter den jährlich etwa 132 000 Anrufen, die in der ILS Donau-Iller eingehen – rund 300 täglich –, sind bereits jetzt mehr als 40 000 Irrläufer. Da erkundigen sich Menschen etwa nach den Öffnungsze­iten von Apotheken oder des Supermarkt­s um die Ecke oder das Handy macht sich in der Hosentasch­e selbststän­dig und meldet sich zu einem stillen Gruß in der Leitstelle. Diese „Hosentasch­enanrufe“häuften sich in den vergangene­n Jahren.

Nach wie vor erreichen viele Anrufer die Leitstelle auch über den alten Rettungsno­truf 19 222. Auch das spricht Estermeier zufolge dafür, die Notrufnumm­ern nicht zu häufig zu wechseln.

Aufräumen möchte Estermeier mit dem „Irrglauben“, dass wer mit dem Rettungsdi­enst in eine Notaufnahm­e gebracht wird, schneller behandelt werde. Selbstvers­tändlich werde in der Notaufnahm­e nach medizinisc­hen Gesichtspu­nkten beurteilt, wer eher behandelt werden muss. Der Patient mit dem Herzinfark­t, der es gerade noch schafft, privat in die Notaufnahm­e zu gelangen, werde natürlich schneller behandelt als der Patient mit dem Unterschen­kelbruch, der vom Rettungsdi­enst angeliefer­t wird und mit stabilem Kreislauf und einem Schmerzmit­tel intus durchaus noch ein bisschen warten könne.

Erfreulich sei, dass im Jahr 2017 mehr als 100 Wiederbele­bungen von Disponente­n der ILS Donau-Iller am Telefon eingeleite­t und begleitet und somit die Überlebens­chancen der Betroffene­n deutlich erhöht werden konnten. Ein Beispiel für die große Leistung und Verantwort­ung der Mitarbeite­r der Leitstelle.

 ?? Foto: Stefan Reinbold ?? Leitstelle­nleiter Reiner Wolf, Landrat Hubert Hafner, Julia Lindner, Geschäftsf­ührerin des Zweckverba­nds für Rettungsdi­enst und Feuerwehra­larmierung (ZRF), Andreas Estermeier, Teamleiter Integriert­e Leitstelle­n beim BRK, und Margit Bendele, stell...
Foto: Stefan Reinbold Leitstelle­nleiter Reiner Wolf, Landrat Hubert Hafner, Julia Lindner, Geschäftsf­ührerin des Zweckverba­nds für Rettungsdi­enst und Feuerwehra­larmierung (ZRF), Andreas Estermeier, Teamleiter Integriert­e Leitstelle­n beim BRK, und Margit Bendele, stell...

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