Freiheit und Vielfalt
Stolz, erhaben und ein wenig selbstverliebt starrt uns bis heute der langhaarige Lockenkopf in edlem Gewand in die Augen. Auf dem weltberühmten Bild von Albrecht Dürer ist nur einer zu sehen: Albrecht Dürer. Der Künstler gilt als der Erste, der sich selbst porträtiert hat. Das ist nicht nur ein Meilenstein in der Kunst, es ist ein Zeichen bürgerlicher Selbstbestimmung. Denn zu dieser Zeit ließen sich eigentlich nur Adlige malen. Doch der Künstler stellte sich selbst in den Mittelpunkt. Ganz nach seinem Belieben inszenierte er sich in seinen Bildern. Wie so manche seiner Zeitgenossen war er sehr selbstbewusst und wollte sich nicht bevormunden lassen.
Etwa 500 Jahre später scheint dieses Phänomen weiter verbreitet denn je. „Individuelle Entfaltung“ist der Begriff unseres Zeitgeistes. Das Selfie ist ein Ausdruck davon. Wir allein können entscheiden, wie wir uns in unserem Umfeld inszenieren wollen. Ähnlich wie Dürer keinen gebeten hatte, ihn zu malen, sind Selfie-Knipser an keinem Fotografen interessiert. Jeder entscheidet frei, wie, wann, wo und mit wem er sich ablichtet. Dafür muss man nicht mal mehr begnadeter Künstler sein. Ein simples Smartphone genügt. Diese Freiheit nehmen viele unreflektiert in Anspruch.
Manchen mag es absurd erscheinen, welche Ausmaße das angenommen hat. Und doch ist genau dies bürgerliche Selbstbestimmung in grenzenloser Vielfalt. Wer also das Selfie und dessen teils banale Anwendung verurteilt, sollte an seiner Toleranz arbeiten.