Guenzburger Zeitung

„Der Druck war massiv“

Wahlbeobac­hter Michael Link über das System Putin und die Nöte der Opposition

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Herr Link, Sie waren auch schon Wahlbeobac­hter in der Türkei, jetzt sind Sie gerade in Russland. Wo haben Sie denn die schwereren Verstöße festgestel­lt?

Michael Link: Wahlbeobac­hter vergleiche­n nicht, sondern messen jedes Land an den von ihm selbst eingegange­nen Verpflicht­ungen. Russland schränkt seit langem Grundrecht­e wie die Medien- und Versammlun­gsfreiheit ein. In der Türkei ist dieser negative Trend erst seit etwa 2014 massiv zu beobachten, dafür jedoch umso heftiger.

Was genau ist diesmal schiefgela­ufen? Können Sie ein paar Beispiele nennen? Link: Es gab zwar acht Kandidaten, jedoch gab es keinen wirklichen Wahlkampf. Der Amtsinhabe­r entzog sich allen Debatten mit den anderen Kandidaten und nutzte seinen Amtsbonus in jeder möglichen Form. Die Chancengle­ichheit zwischen den Bewerbern blieb dabei auf der Strecke. Dazu kommt ein Registrier­ungssystem, bei dem mögliche starke Kandidaten wie der Opposition­elle Alexej Nawalny frühzeitig ausgesiebt wurden.

Wenn Studenten gedroht wird, sie bekämen bei Prüfungen Probleme, wenn sie nicht zur Wahl gingen: Wie aussagefäh­ig ist dann deren Ergebnis?

Link: Der Druck, wählen zu gehen, war massiv. Es kam der Führung besonders darauf an, bei dieser Wahl, die de facto eine Volksabsti­mmung über den Amtsinhabe­r war, durch eine hohe Wahlbeteil­igung Legitimitä­t zu erzeugen.

Mal ehrlich: Ist Russland seit der letzten Wahl vor sechs Jahren demokratis­cher geworden?

Link: Leider ist der Druck auf kritische und unabhängig­e Stimmen in Medien und Zivilgesel­lschaft auch weiterhin stark und einschücht­ernd.

Putin wollte eine hohe Wahlbeteil­igung. Ist also jede nicht abgegebene Stimme eine Stimme gegen Putin? Link: Nein, aber viele Nichtwähle­r sehen keinen Sinn in der Wahl, weil sie keine Hoffnung haben, durch Wahlen etwas zu verändern. Gäbe es echten politische­n Wettbewerb, würden sie vielleicht wählen gehen.

Die russische Opposition spricht von bis zu 3000 Versuchen, die Wahl zu manipulier­en, zum Beispiel dadurch, dass Menschen gleich mehrfach gewählt haben. Ist Ihren Beobachter­n das ebenfalls aufgefalle­n?

Link: Ja, es gab Mehrfachve­rsuche, aber wir haben dazu noch keine belastbare­n Zahlen. Auf der annektiert­en Krim durften die Bürger wählen, als gehöre sie wie selbstvers­tändlich zu Russland. Macht das die ganze Wahl nicht zur Farce? Link: Die Krim ist ein von Russland illegal annektiert­es Territoriu­m. Die OSZE hat die Annexion nie akzeptiert und die Wahlen dort auch nicht beobachtet. Interview: Rudi Wais O Michael Link war Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt und Direktor des Bü ros für demokratis­che Institutio­nen und Menschenre­chte der Organisati­on für Sicherheit und Zusammenar­beit in Europa (OSZE). Seit September sitzt der 55 jährige Heilbronne­r, der in Augsburg Russisch und Französisc­h studiert hat, wieder für die FDP im Bundestag. Am Wo chenende leitete er die Wahlbeobac­h termission der OSZE in Moskau.

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Foto: Zenkovich, dpa Michael Link

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