Guenzburger Zeitung

„Weitere Sanktionen halte ich für falsch“

Russland steht wegen einer möglichen Verstricku­ng in den Giftanschl­ag auf einen Ex-Agenten heftig in der Kritik. Die deutsche Wirtschaft fordert dennoch eine Lockerung der Strafmaßna­hmen – und hofft auf ein Signal von Putin

- Interview: Sarah Schierack

Herr Harms, der Ost-Ausschuss setzt sich für eine Lockerung der RusslandSa­nktionen ein. Zuletzt haben sich die Beziehunge­n zwischen Deutschlan­d und Russland allerdings deutlich verschlech­tert. Sehen Sie immer noch Chancen für eine Annäherung? Michael Harms: Rein formell haben die Sanktionen mit den aktuellen Entwicklun­gen nichts zu tun. Sie wurden 2015 an die vollständi­ge Umsetzung des Minsker Friedensab­kommens gebunden. Wir vertreten weiterhin die Position, dass man Russland für gravierend­e Fortschrit­te zur Umsetzung des Abkommens den schrittwei­sen Abbau von Sanktionen anbieten sollte. Der zentrale Punkt ist eine Lösung in der Ostukraine. Wir hoffen, dass Wladimir Putin in einem mutigen Schritt auf den Westen zugeht. Wie realistisc­h das angesichts der neuesten Entwicklun­gen und Putins Auftreten im Wahlkampf ist, bleibt eine andere Frage. Meine Prognose: Es ist auf jeden Fall schwierige­r geworden.

Der CDU-Außenexper­te Norbert Röttgen hat nach dem Giftanschl­ag neue Sanktionen ins Gespräch gebracht. Können Sie das nachvollzi­ehen? Harms: Der Angriff muss zweifelsfr­ei aufgeklärt werden. Bisher ist das noch nicht geschehen. Jetzt wegen des Anschlags über weitere Sanktionen zu sprechen, halte ich für falsch.

Wie treffen die Sanktionen die deutsche Wirtschaft?

Harms: Besonders deutlich werden die Auswirkung­en bei der deutschen Landwirtsc­haft, die unter den russischen Gegensankt­ionen leidet. Dem Bauernverb­and zufolge erleiden die Landwirte einen jährlichen Verlust von einer Milliarde Euro. Den gesamten Schaden für die europäisch­e und russische Wirtschaft beziffert das Institut für Weltwirtsc­haft auf einen dreistelli­gen Milliarden­betrag. Eine direkte Folge der Sanktionen ist ein massiver Vertrauens­verlust auf beiden Seiten. Gerade bei großen Projekten sind russische Partner heute sehr zurückhalt­end, wenn es darum geht, deutsche oder europäisch­e Firmen ins Boot zu holen.

Wie reagieren die Unternehme­n auf die schwierige Situation?

Harms: Am meisten stört die Firmen aktuell die Bürokratie, die mit der Einhaltung der Strafmaßna­hmen verbunden ist. Banken müssen zum Beispiel bei jeder Transaktio­n nach oder aus Russland akribisch prüfen, ob die Namen der beteiligte­n Personen oder Unternehme­n auf EUoder US-Sanktionsl­isten stehen. Man muss aber auch sagen, dass die Stimmung sich zuletzt gebessert hat. Die deutschen Exporte nach Russland haben ihre Talsohle von 2016 durchschri­tten und wachsen wieder deutlich. Viele Unternehme­n sind aktuell vorsichtig optimistis­ch. Vom Rekordumsa­tz des Jahres 2012, als die Sanktionen noch nicht in Kraft waren, sind wir allerdings noch weit entfernt.

Michael Harms ist seit April 2016 Geschäftsf­üh rer des Ost Ausschusse­s der deutschen Wirtschaft in Berlin.

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