Streit um Hartz IV entzweit die SPD
Der Versuch von Vizekanzler Olaf Scholz, den Burgfrieden in der Partei mit einem Machtwort zu wahren, ist gescheitert. Hat er die Situation unterschätzt?
Berlin Der Burgfrieden bei den Sozialdemokraten hat nicht lange gehalten. Mit seiner Ankündigung, er wolle gegenwärtig nicht am Grundprinzip von Hartz IV rütteln, bringt Vizekanzler Olaf Scholz weite Teile seiner Partei gegen sich auf.
Die von der rot-grünen Koalition unter Gerhard Schröder eingeführte Sozialreform sei für die SPD „nach wie vor ein wunder Punkt“, warnte der Berliner Fraktionsvorsitzende Raed Saleh. In der Partei gebe es eine Sehnsucht, über die Änderung oder Abschaffung von Hartz IV zu diskutieren – dabei dürfe es auch keine Denkverbote geben. Die bayerische Landesvorsitzende Natascha Kohnen, zugleich stellvertretende Vorsitzende der Bundespartei, will einen Sonderparteitag über die künftige Ausgestaltung des Sozialstaates entscheiden lassen. Ähnlich argumentierte Flensburgs Oberbürgermeisterin Simone Lange, die sich wie Fraktionschefin Andrea Nahles im April um den SPD-Vorsitz bewirbt: Es sei ein „fataler Fehler“des kommissarischen Vorsitzenden Scholz, die Debatte so abzuwürgen.
Scholz hatte mit Blick auf Berlins Regierungschef Michael Müller und Parteivize Ralf Stegner gesagt: „Auch Herr Müller und Herr Stegner stellen das Prinzip des Förderns und Forderns nicht infrage.“Müller hatte als Alternative zu Hartz IV ein „solidarisches Grundeinkommen“von 1200 Euro im Monat für Bürger vorgeschlagen, die zu gemeinnütziger, sozialversicherungspflichtiger Arbeit bereit sind. Der Vorsitzende der bayerischen SPD-Landesgruppe im Bundestag, Martin Burkert, hält diese Idee zumindest für „prüfwür- dig“. Gegenüber unserer Zeitung sprach auch er sich für eine Reform des Systems aus, die vor allem die Kinder im Auge haben sollte: „Der Kreislauf, Hartz IV zu vererben, muss durchbrochen werden. Hier muss die Politik nachjustieren.“
Scholz verwies darauf, dass die Koalition für Langzeitarbeitslose einen neuen sozialen Arbeitsmarkt plane. Arbeitsminister Hubertus Heil betonte, er sei offen für eine Debatte über die Zukunft der sogenannten Grundsicherung. Bei den umstrittenen Sanktionen für HartzIV-Empfänger etwa könne es an der einen oder anderen Stelle Änderungen geben. Gleichzeitig warnte er jedoch: „Eine Gesellschaft darf kein gestörtes Verhältnis zu ordentlicher Arbeit haben.“Auch der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, sieht keinen Anlass für eine Abschaffung von Hartz IV. Zwar müssten Schwachstellen beseitigt werden. „Ich warne aber davor, das ganze System infrage zu stellen.“
Heil will mit Lohnkostenzuschüssen von vier Milliarden Euro rund 150000 Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit bringen. Als langzeitarbeitslos gelten Menschen, die länger als ein Jahr ohne Job sind, das sind derzeit rund 845 000 Arbeitslose. Im Februar bekamen 5,95 Millionen Menschen Hartz IV. Zwei Drittel erhielten Hartz IV, ohne arbeitslos zu sein, etwa weil sie einem Minijob oder einer Maßnahme zur Rückkehr auf den Arbeitsmarkt nachgingen, eine Schule oder Hochschule besuchten oder arbeitsunfähig sind.
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