Frankreichs Bahn steht still
Großer Streik gegen die Bahnreform
Paris Es ist Dienstagmorgen, Hauptverkehrszeit in Versailles – einem der vielen Pariser Vororte, von denen aus jeden Tag Tausende in die Hauptstadt pendeln. Wo es sonst quirlig zugeht, herrscht ungewohnte Ruhe. Die Bahnhofshalle erscheint ausgestorben; überfüllt ist nur der Bahnsteig zu dem einzigen Zug, der demnächst fahren soll. „Irgendwann muss ja einer kommen“, sagt ein Pendler. Er hoffe, einigermaßen pünktlich in die Innenstadt von Paris zu gelangen. „Ich wurstele mich irgendwie durch.“Vier von fünf Vorstadtbahnen, so hat man ihm gesagt, sollten ausfallen. Viele Franzosen haben den Tag freigenommen, arbeiten von zu Hause aus oder bilden Fahrgemeinschaften. Ob in Nantes, Marseille oder Bordeaux – die Medien sprachen von „Phantom-Bahnhöfen“.
Nach einem ersten Streiktag vor knapp zwei Wochen begann am Dienstag ein phasenweiser Ausnahmezustand. Drei Monate soll er dauern: Mehrere Gewerkschaften der Staatsbahn SNCF haben angekündigt, bis Ende Juni an 36 Tagen in den Ausstand zu treten, meist zwei Tage in Folge. Ein Minimaldienst bleibt erhalten, doch die Mehrzahl der Züge fällt aus. Obwohl es sich um anders gelagerte Forderungen handelt, traten gestern zudem zahlreiche Mitarbeiter der Müllbetriebe, aus dem Gassektor sowie von Air France in den Ausstand.
Am Streik auf den Schienen beteiligte sich ein Drittel der Bahnbeschäftigten. Worum geht es? Geplant ist, die Staatsbahn, die mit 54,5 Milliarden Euro schwer verschuldet ist, in eine Aktiengesellschaft mit öffentlichem Kapital umzuwandeln und gemäß der von der EU vorgeschriebenen Öffnung des Schienenverkehrs wettbewerbsfähig zu machen. Besonders umstritten ist das Ende des beamtenmäßigen Eisenbahner-Status für neue Mitarbeiter, der bisher die Anstellung auf Lebenszeit, ein frühes Renteneintrittsalter und eine vorteilhafte Berechnung der Pension garantiert.
Wie schon bei der Liberalisierung des Arbeitsmarktes will die Regierung schnell voranschreiten. Bei der Vorstellung der Pläne Ende Februar nannte Premierminister Édouard Philippe die Lage der SNCF „alarmierend, um nicht zu sagen unhaltbar“: „Die Franzosen bezahlen immer teurer für einen Service, der immer schlechter funktioniert.“Im vergangenen Jahr hätten die Steuerzahler 14 Milliarden Euro an Subventionen für den Schienenverkehr ausgegeben.