Kleiner Piks, große Wirkung
Bayern will die Impfquote weiter erhöhen. Denn nach wie vor gibt es Masern- und vor allem auch Keuchhustenfälle. Warum man vermeintliche Kinderkrankheiten nicht unterschätzen darf
Augsburg Es sind Bilder, die kaum zu ertragen sind. Der Bub blickt starr an die Decke, sein Bruder streicht ihm übers Haar. Immer wieder rollt das Kind mit den Augen, seine Hände sind verkrampft. Der Sechsjährige kann nicht sprechen, nicht laufen, bekommt regelmäßig spastische Anfälle – und das alles wegen einer Masernerkrankung.
Das Video des kleinen Jungen findet man im Internet, wenn man sich auf die Suche nach der sogenannten Panenzephalitis macht, einer schweren Masern-Komplikation. Die Kinder erkranken meist kurz nach der Geburt, wenn man sie noch nicht impfen kann. Einige Jahre später können Spätfolgen auftreten, das Gehirn entzündet sich, verfällt langsam. Die Kinder sind schwer behindert. Eine Heilung gibt es nicht, die Krankheit endet tödlich.
„Babys im ersten Lebensjahr sind besonders gefährdet“, sagt Martin Lang, Vorsitzender des Bayerischen Berufsverbandes der Kinderärzte. Normalerweise haben die Kinder zwar einen Schutz durch die Mutter – doch wenn die nicht geimpft ist oder nur eine einzige Immunisierung bekommen hat, ist das Kind den Viren schutzlos ausgeliefert. Denn die Kleinen können selbst erst ab zehn Monaten geimpft werden. Doch nicht nur wegen der gefürchteten Spätfolgen dürfen Masern nicht unterschätzt und als harmlose Kinderkrankheit abgetan werden. „Man hat hohes Fieber, ähnlich wie bei einer Influenza. Und eine Lungenentzündung ist eine häufige Komplikation“, sagt Lang.
Etwa 92 Prozent der Einschulungskinder im Freistaat sind zweimal gegen Masern geimpft. „Damit ist es uns in den vergangenen 13 Jahren gelungen, bayernweit die Zahl der zweimal gegen Masern geimpften Kinder deutlich zu steigern – und zwar um über 48 Prozentpunkte auf über 92 Prozent“, sagt Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml. Das Problem ist: Das reicht noch nicht aus. Um die Masern endgültig auszurotten, empfehlen Experten eine Quote von 95 Prozent. Und so gibt es in Bayern immer wieder Masernausbrüche. 2013 erkrankten 777 Menschen. 2016 waren es 33, in diesem Jahr sind bisher 20 Fälle im Freistaat bekannt.
Um das Bewusstsein für die Gefahren zu schärfen und die Menschen dazu zu bewegen, mal wieder einen Blick in ihren Impfpass zu werfen, findet ab diesem Montag die Bayerische Impfwoche statt – mitt-
lerweile zum fünften Mal. Thema in diesem Jahr: „Impfen rund um die junge Familie“. Gesundheitsministerin Huml erklärt, warum eine hohe Impfquote wichtig ist: „Ein gesundes und vollständig geimpftes Umfeld schützt Neugeborene am besten vor Infektionskrankheiten.“
Zu diesen zählen bei Weitem nicht nur die Masern, sondern auch der Keuchhusten. Und hier ist eine besorgniserregende Zunahme an Krankheitsfällen zu beobachten. Die Zahl ist seit dem Jahr 2013 um rund 29 Prozent angestiegen. 3409 Mal wurde die Infektion im vergangenen Jahr in Bayern festgestellt. Heuer sind bereits 1050 Menschen erkrankt. Dass Keuchhusten eine ernst zu nehmende Krankheit ist –
und zwar nicht nur für Kinder –, zeigt ein Fall aus der Region, von dem Mediziner Lang berichtet: Zwei Kinder hatten zwar als Baby eine Impfung bekommen, allerdings keine Auffrischung nach zehn Jahren. Sie erkrankten und steckten ihren Opa an – der Mann starb.
„Die Krankheit wird unterschätzt, viele Eltern sagen, dass ihr Kind das nicht braucht“, sagt Lang. „Und sie gehört zu den umstrittensten Impfungen.“Nach Angaben des Mediziners rührt diese Skepsis daher, dass es in den 90er Jahren, als noch ein anderer Impfstoff eingesetzt wurde, öfter Nebenwirkungen gab. „Jetzt ist das anders, weil kein Lebendimpfstoff mehr verwendet wird.“Bei anderen Impfungen,
etwa gegen Masern, komme der aber noch zum Einsatz. Leichte Nebenwirkungen wie schwaches Fieber oder ein Hautausschlag seien dabei normal. Schwere Nebenwirkungen indes kämen nur bei einer von zehn Millionen Impfungen vor.
Trotz des enorm geringen Risikos eines schweren Schadens gibt es aber Eltern, die gänzlich auf Impfungen für ihre Kinder verzichten. „Etwa drei bis fünf Prozent der Bevölkerung lehnen Impfungen komplett ab. Etwa 15 Prozent sind kritisch, fragen detailliert nach den Zusatzstoffen“, sagt Lang. „Nach gründlicher Beratung lassen diese Familien aber in aller Regel ihr Kind den Empfehlungen entsprechend impfen.“