Die Sozialdemokraten verharren in der Schockstarre
Auch nach der Wahl von Andrea Nahles zur Vorsitzenden bleibt die SPD im Tief. Die Doppelrolle als Partei- und Fraktionschefin fällt der Politikerin schwer
Ist Olaf Scholz lediglich eine Kopie von Wolfgang Schäuble? Hat man schon etwas von der neuen Umweltministerin gehört? Und wie heißt noch einmal die neue Familienministerin? Immerhin hat die neue starke Frau der SPD, Parteiund Fraktionschefin Andrea Nahles, ihre auffällige Zurückhaltung aufgegeben und Innenminister Horst Seehofer aufgefordert, ein Konzept für die Ankerzentren vorzulegen. Es gibt sie also noch.
Seit gut zwei Monaten ist die neue Bundesregierung im Amt, doch der Unterschied zwischen Union und SPD könnte auffälliger kaum sein. Während CDU und CSU die Themen besetzen, damit – teils gewollt, teils aber auch ungewollt – die öffentliche Debatte dominieren, verharren die Sozialdemokraten unverändert im Zustand der Schockstarre, in den sie nach dem Desaster bei der Bundestagswahl gefallen sind. Mit letzter Kraft haben sie sich in die Regierung gerettet, nun sind sie zu erschöpft, um eigene Akzente zu setzen. Das machen andere. Der mit allen Wassern gewaschene alte Hase Horst Seehofer und der aufmüpfige Jungspund Jens Spahn haben am Anfang gezeigt, wie man mit einigen wenigen provokanten Äußerungen für Furore sorgt, später legte CSULandesgruppenchef Alexander Dobrindt mit seinen Attacken nach. Die SPD dagegen blieb in der Defensive, beschäftigte sich vor ihrem Parteitag lieber wieder einmal mit sich selber und leistete sich eine überflüssige Führungsdebatte. Entsprechend katastrophal fallen die Umfragewerte aus, die im Niemandsland unter 20 Prozent liegen.
Kein Wunder, dass die Unzufriedenheit in den eigenen Reihen groß ist. Nach außen wirbt die Parteiführung um Geduld, man stehe erst am Anfang des Erneuerungsprozesses, der Zeit brauche. Doch intern wollen die Selbstzweifel nicht weichen. Was auch daran liegt, dass das Duo Nahles/Scholz noch unsicher und zurückhaltend agiert. So bleibt Scholz bislang blass, sein Credo, die SPD müsse durch verlässliche Regierungsarbeit beim Wähler Vertrauen gewinnen, wird nicht von allen in der Partei geteilt, vielmehr werden die Rufe lauter, dass im Etat eine stärkere sozialdemokratische Handschrift sichtbar werden müsste. Nahles wiederum tut sich mit der Doppelrolle als Partei- und Fraktionschefin schwerer als erwartet. Sie bestätigt damit all jene, die auf dem Parteitag argumentierten, man könne nicht gleichzeitig als Fraktionsvorsitzende den Kurs der Regierung unterstützen und als Parteichefin die Erneuerung vorantreiben. Nahles wird daher nicht umhinkommen, sich stärker am Modell Dobrindt zu orientieren, der mit seinen gezielten Provokationen die Rolle des Antreibers wie des Korrektivs übernimmt – auch wenn das den Koalitionsfrieden stört.
Die künftige Arbeitsteilung ist damit vorgegeben: Scholz ist fürs gute Regieren zuständig, Nahles fürs sozialdemokratische Profil. Das aber bedeutet für die Parteichefin, dass sie ihrer nach Erneuerung lechzender Partei nun auch programmatisch etwas bieten muss, jedenfalls mehr als das Abhaken des Koalitionsvertrags. Die SPD war immer dann erfolgreich, wenn sie den sozialen Ausgleich mit der gesellschaftlichen Modernisierung verbinden vermochte, sich für die Schwachen einsetzte, ohne die Leistungsträger zu vernachlässigen. In Zeiten eines dramatischen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandels, hervorgerufen durch die Globalisierung und die Digitalisierung aller Lebensbereiche, geht es wieder einmal um den Ausgleich von ökonomischen Interessen und dem Schutz der Bürger, um eine neue Balance von individueller Freiheit und allgemeiner Sicherheit. Wenn jemand darin Erfahrung hat, dann die SPD. Eine Aufgabe wie geschaffen für Andrea Nahles.
Programmatisch muss Nahles ihrer Partei was bieten